Dienstag, 12. Mai 2015

Überraschungsmenü

Als meine Geschwister und ich Kinder waren, hatte meine Mutter es bei Tisch ziemlich schwer mit uns. Sie wollte, dass wir vernünftig essen. Sie tat eine ganze Menge, damit das passiert. Es kam so gut wie nie vor, dass wir einfach Nudeln mit Tomato al Gusto bekamen oder eine Tiefkühlpizza - sie kochte richtig, mit Mühe, Abwechslung, und jede Menge Hirnschmalz wanderte vermutlich auch in die Planung und Zubereitung dieser Mahlzeiten. Meine Mutter war keine Hausfrau, sie arbeitete als Lehrerin, und die Zeit, die ihr von Feierabend bis Mittagessen blieb, war kurz - trotzdem stand fast immer ein drei-Komponenten-Gericht auf dem Tisch. Kohlrabi mit Kartoffelpüree (selbstverständlich selbstgemacht und nicht aus der Tüte) und Frikadellen. Bratkartoffeln, Rotkohl und Bratwurst. So etwas erfordert Planung und Sorgfalt, vor allem, wenn man wie wir ein gutes Stück weit weg wohnt vom nächsten Supermarkt. Und das war der Dank: Es war fast egal, was sie kochte, es gab Stunk. Selbst wenn das Essen uns schmeckte (sprich: wenn wir es ohne Murren in uns reinstopften und danach ohne ein nettes Wort in unsere Zimmer verschwanden), denn mein Bruder und ich nutzten das Mittagessen als willkommene Gelegenheit, uns zwanzig Minuten lang zu streiten. Vor diesem Hintergrund kann ich mehr als verstehen, dass wir an vielen Tagen nach den Hausaufgaben nach draußen geschickt wurden mit der mehr oder weniger deutlichen Anweisung, vor 18 Uhr nicht wieder nach Hause zu kommen.
Es gab eine Riesenliste von Dingen, die ich nicht aß. Wirsing stand darauf, Kohlrabi, gekochte Möhren, Milchreis oder auch Tiefkühlerbsen. Dann gab es eine noch größere Liste von Dingen, die ich notgedrungen aß, aber dabei gingen die Mundwinkel keinen Milimeter nach oben, und ich war mit einer Spatzenportion zufrieden. Zu voller Mähdrescherleistung lief ich nur in den seltenen Sternstunden auf, wenn es eins meiner Lieblingsessen gab, dann aber richtig. Ich habe mehrere Weihnachtsfeste deutlich vor Augen, bei denen mein Vater wirklich wütend wurde, weil seine Tochter eine so ungehörige Menge Fondue verdrückte. Darüber hinaus gab es Marotten. Ich weigerte mich, von Silberbesteck zu essen. Ich musste das alte Plastiktischset mit der Zitrone haben. Fleisch und Beilagen durften sich nicht berühren, es durfte keine Sauce auf den Nudeln sein etc. Ich war eine echte Pest. Aber meine Mutter gab nicht auf, sie kochte weiter, jeden Tag, und was sie heute denkt, wenn ihre endlich erwachsene Tochter stundenlang über italienische Küche schwadroniert und eine Gewürzschublade, eine Gewürzkiste und dann im Keller noch einen Gewürzumzugskarton hat, bleibt ihr Geheimnis.

Ziemlich unfair, dass ausgerechnet ich zumindest ein Kind habe, das mir bisher solchen Ärger nicht macht. Nicht nur, dass die Jungs sich bisher sehr gut verstehen und hoffentlich dabei bleiben, Kalle ist bei Tisch weiterhin das Kind zum Angeben. Seine Tischsitten sind immer noch vor allem von Gier bestimmt, aber das kommt später. Bis dahin erzähle ich jedem, der es hören will, von dem Kind, das Knoblauch und Meeresfrüchte isst, gerne alkoholfreies Bier trinkt und in die Küche getrabt kommt, um ein Stück Mate (Tomate) und ein Stück Tiebel (Zwiebel) abzustauben. Jeden Morgen frage ich ihn, was er auf sein Kita-Brot will. Und jeden Morgen entscheidet er sich gegen Nutella und für Käse, und vielleicht fordere ich mein Glück heraus, aber aus reiner Hybris biete ich ihm weiter Nutella an. Ist das geklärt, darf er auf den Käse zeigen, den er will. Weichkäse mag er nicht so, aber mindestens genau so oft wie Kinderkäse (wie z.B. Gouda) möchte er Appenzeller oder Morbier oder was auch immer. Lachs mag er auch. Lachs mit Ziegenstreichkäse drunter. Und er hätte auch immer gerne noch ein paar Chiliflöckchen auf seine Pasta und einen Spritzer Zitrone in sein Wasser. Letzte Woche hatte ich Nigellas Dragon Wings gemacht, Chicken Wings mit fünf frischen Chilischoten, eigentlich nur für mich. Aber dann kam Kalle und wollte einen abhaben, und wie so oft dachte ich ein bisschen heimtückisch "hähä, auf den Gesichtsausdruck bin ich gespannt" und habe dann fassungslos zugesehen, wie er das Ding mit viel Genuss bis auf den letzten Fetzen von den Knochen genagt hat.

Um diese himmelschreiende Ungerechtigkeit auszugleichen, haben die Götter mir L. geschickt. L. ist der Ehemann einer Frau, die früher (als sie noch Sonntagmorgen hatte) jeden Sonntagmorgen mit einem Stapel Kochbücher im Bett lag und sabbernd ihre nächsten Mahlzeiten plante, mit Vorliebe solche aus Schweinefleisch. L. hat entschieden, kein Schweinefleisch mehr zu essen. Rind auch sehr, sehr ungern und selten, aber wenn, dann Bio. Bio ist in unserem Vorort nicht zu kriegen, ich habe es versucht. Für Geflügel gilt das Gleiche. Lamm an sich schon, wenn da nicht sein Grundsatz wäre, keine Babytiere zu essen - aus dem gleichen Grund ist Kalbfleisch vom Speiseplan. Der Killer wäre eine Spanferkel. Fisch ist ok, mit Ausnahme von Hummer, was ich nicht schlimm finde, denn Hummer mag ich auch nicht so gerne und kann ihn außerdem von meinem Elterngeld nicht bezahlen. Wild würde er theoretisch essen, aber im Zweifel dann lieber doch Gemüse. Gemüse und - zartbesaitete lieber jetzt aussteigen - Tofu. Ich könnte sagen, da pfeif ich drauf, soll er sich seine Mahlzeiten doch selbst organisieren, ich lege jetzt erst mal einen Schweinebauch ein. Manchmal mache ich das auch, aber meist siegt die Kinderstube, in der es nun mal so angelegt war, dass die Familie sich gefälligst an einen Tisch setzt und zusammen isst, und zwar das Gleiche. So kommt es, dass in den letzten Monaten solche Dinge wie Quinoa, Einkorn, Rollgerste oder Hirse ihren Einzug in mein vorher schon proppenvolles Vorratsregal gefunden haben. Auch Mandelmus als Käse"ersatz" hatten wir schon. Aber noch schätze ich mich glücklich, denn ich habe das dumpfe Gefühl, wenn es einen Menschen in meinem Umkreis gibt, der irgendwann mit Paleo anfängt, dann ist das der Mann an meiner Seite.

Bin ich gespannt, wie es mit Kalle wird.

1 Kommentar:

  1. Hm, da erbsengrüne Kreatur dr Fortpflanzung gerecht ist, hast Du eigentlich nur eine Chance, Jacob als zufriedenen Esser zu erleben: L. Muss sich eine richtig fiese Essensmacke zulegen...

    Ich kenne das von meinen Beiden... Nummer 1 futterte sich schon mit 1 Jahr quer durch sämtliche Käse und Olivenspezialitäten, ausser Fenchel isst er alles (ok, er besteht darauf nur Wasser zu trinken... Tolerierbar).
    Nummer 2 ekelt sich vor allem erst mal prophylaktisch, und würde, wenn er dann nach etwas zureden/anraunzen dann das Essen in den Mund bewegt, nie zugeben, dass ihm was schmeckt - ausser Rustipano Ofenbrot mit Hähnchen und Toast mit Nutella und Erdbeermarmelade von Oma.
    Nervig.

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