Sonntag, 26. Oktober 2014

Mach aus.

Fast drei Monate ist Momo jetzt tot. Sie liegt bei der Tochter ihres alten Frauchens im Garten, die hat ihr bestimmt ein schönes Grab gemacht - wer weiß, vielleicht sogar mit einem kleinen Stein oder einer Hundefigur? Genau weiß ich es nicht, denn ich war noch nicht da. Als wir uns zuletzt gesehen haben, damals in der Klinik, hat sie noch zu mir gesagt, ich sollte doch mal vorbeikommen. Aber ich habe auch gesagt, ich würde meine Fotoarchive noch mal durchwühlen nach allem, was ich von ihr finden kann, und ihr die Fotos schicken, und auch das habe ich noch nicht gemacht. Ich hoffe, ich komme bis Weihnachten dazu, das auch tatsächlich zu tun und vielleicht sogar ein kleines Album zu machen - genau wie alle vorangegangenen Fotokollektionen in doppelter Ausführung, einmal für die Mutter, einmal für die Tochter. Andererseits, da war doch was... mal sehen.

Inzwischen ist das Leben ohne die alte Fluse ziemlich eingespielt. Direkt nach ihrem Tod kam z.B. Würmchen in die Kita, und für die Kita müssen wir ihm morgens ein Frühstück fertig machen - ein Brot und Obst. Während ich ihn anziehe, wartet dieses Frühstück in eine Brotdose verpackt im Korb seines Kinderwagens auf den Abmarsch. Würde Momo noch leben, wäre das nicht möglich. Sie würde sich im Zweifel durch eine Brotdose einfach durchfressen. Oder sie würde die Dose samt Inhalt verschlucken. Oder sie würde sie aus der Karre holen, in irgend einen Winkel schleifen und dort alles ausprobieren, was ihr einfällt (das wäre vermutlich eine Menge), um an den Inhalt ranzukommen. Es wäre jedenfalls nicht möglich, die Dose in die Karre zu tun und zehn Minuten später mit Kind und Dose und Frühstück das Haus zu verlassen. Ich bin froh, mir den Dosenstress morgens zu ersparen, aber es packt mich doch auch eine leise Wehmut, wenn ich sehe, wie lammfromm unser (auch verfressener, keine Frage) Hund Lili neben der Kinderkarre sitzt und im Zweifel die Dose eher noch bewacht als ausräumt.
Butter, Käse, überhaupt so ziemlich jedes Lebensmittel darf jetzt wieder in Randnähe auf Tischen und Küchenflächen liegen. Niemand holt ein halbrohes Steak aus der glühendheißen Pfanne. Backe ich einen Kuchen und renne kurz in den Keller, um die Backform zu holen, dann komme ich wieder, und niemand hängt mit der Nase in der Rührschüssel der Küchenmaschine und leckt sie aus, während der Quirl sich noch aufgeregt dreht. Niemand beißt mir die Handgelenke grün und blau, weil er gestreichelt werden möchte. Niemand haucht mich mit diesem Todesatem an, der nur entsteht, wenn ein Hund im Hochsommer durch Gebüsche streift und jede Spur Bierschiss frisst, die er finden kann. Niemand springt mir mit messerscharfen Nightmare-on-Elm-Street-Krallen in den Rücken oder in den Bauch und zerschlitzt dabei Seidenhemden, Strickjacken und nicht zuletzt meine schwangerschaftsbedingt sowieso schon strapazierte Haut.

Als ich frisch schwanger war, haben sowohl mein Vater als auch ein Freund von uns (der eine großer Hundeliebhaber, der andere nicht) zu uns gesagt: jetzt, wo noch ein Baby käme, würden wir ja wohl selbstverständlich unseren Pflegehund wieder abgeben? Das ginge doch nicht, mit zwei Hunden und zwei Babies? Das könnte kein Mensch erwarten? Wir waren perplex. Momo jetzt wieder abzugeben, kam uns ähnlich undenkbar vor, wie das erste Kind abzugeben, um mehr Zeit für das zweite zu haben. Naja, nicht ganz, aber es stand außerhalb jeder Diskussion. Natürlich würde das rummelig werden. Natürlich würden wir alle ordentlich zu tun haben. Natürlich würde es hier und da klemmen. (Das Auto z.B. - ein Auto, in dem zwei Kindersitze, ein Doppelkinderwagen, zwei Erwachsene, zwei Babies und zwei Hunde plus ihr ganzer Krempel für ein verlängertes Wochenende, ganz zu schweigen von einem Urlaub Platz haben, muss man erst mal finden. Und bezahlen. Und finden.) Aber das würden wir ja wohl hinkriegen?
Dann kamen dieser Kacktag im Juli, die dusseligen Putzleute und der silberne, viel zu schnelle Van, und jetzt ist es eben doch so: zwei Kinder, nur noch ein Hund. Unser Auto werden wir erst mal behalten, wir überlegen, einen dieser Dachsärge zu besorgen, in den dann die Karre und einiges Gepäck passt. Außerdem habe ich mir überlegt, dass für den Preis eines echten Vans - den wir ja nur bräuchten, bis die Kinder nicht mehr in der Karre sitzen - eine Menge Bahntickets und Taxifahrten drin sind, wenn wir also wirklich mal z.B. übers Wochenende in die Heide wollen mit der ganzen Bande, dann laden wir eben das Auto voll bis unters Dach, und Mutti fährt mit Würmchen I feudal im Taxi hinterher. Oder im Auto meiner Schwiegermutter. Oder wie auch immer. Ich schmiere morgens das Kitabrot und verschwende keinen zweiten Gedanken daran, wo ich es am sichersten aufbewahren kann. Und wenn alle Stricke reißen, dann werde ich auch jetzt im neunten Monat noch mal für eine kurze Strecke mit Kinderkarre und einem Hund an der Leine fertig.

Selten hat mich etwas, was so praktisch war, so rundum deprimiert.

2 Kommentare:

  1. Ich versteh's auch. Drück dich unbekannterweise. Und alles Gute für würmchen II und die Geburt!
    jule

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