Mittwoch, 10. April 2013

Hach, Hamburg.

Vor ein paar Jahren gab es von einer Hamburger Agentur mal eine preisgekrönte Werbekampagne für mehr Zivilcourage, die ging ungefähr so: In U-Bahn-Waggons, an Bahnsteigen oder an Rolltreppen standen großgedruckte Zeilen nach dem Muster "Am 6. Januar wurde hier eine Frau von 20 Menschen vergewaltigt. 19 davon haben dabei Zeitung gelesen." Ich fand die Kampagne sehr gut, und auch, wenn ich in der U-Bahn nicht ständig Angst vor Überfällen habe und mir abends vor allem aus Bequemlichkeit und nicht aus Vorsicht ein Taxi leiste, hätte ich sofort unterschrieben, dass in der U-Bahn im Zweifel von Mitfahrenden nicht viel mehr zu erwarten ist als Breitmachen um jeden Preis, blöde Fiepsmusik aus zu leichten Kopfhörern, Schmatzen, Rotzhochziehen und wahnsinnig laute Supi-Busy-Telefonate. Bis heute. Heute früh war ich auf dem Weg zum Zuckertest bei meiner Ärztin in der Innenstadt, eine Stunde früher als sonst und schon vor Fahrtantritt fürchterlich fertig. Eigentlich müsste ich inzwischen an schlechten Schlaf gewohnt sein, seit ein paar Nächten verbringe ich den Großteil der Nacht mit Herumwälzen, Ächzen und L. auf die Nerven fallen. Irgendwie drückt das Würmchen mir immer entweder auf die Lunge, auf den Magen oder auf die Blase oder alles zusammen. Jedenfalls war heute Nacht keine Ausnahme, dazu kam aber noch, dass Pflegehund Momo heute Nacht mehrere Anfälle hatte und wir vor Sorge und vor lauter Horchen auf das nächste panische Scharren von Krallen auf Holzboden kein Auge zugetan haben. Entsprechend wach und spritzig saß ich in der Bahn und las in meinem Krimi, als mir plötzlich ich weiß nicht wie wurde. Ich bekam keine Luft. Mir war schlecht. Und schwindelig. Und ich hatte von jetzt auf gleich dicke, kalte Schweißperlen auf der Stirn. Und das nächste, woran ich mich erinnere, war, dass ich vom Sitz gerutscht war und mehr lag als saß, nach Luft schnappte wie ein Goldfisch und dachte, das war es jetzt. Da kannte ich aber die Hamburger Ubahn-Mitfahrer nicht. Ich hatte von jetzt auf gleich acht Fremde Menschen jeden Alters um mich herum, die wie acht Mütter zu mir waren. Zwei öffneten die Fenster, eine machte mir Platz, zwei andere hieften mich zurück auf den Sitz und legten meine nach dem Hundespaziergang nicht besonders sauberen Stiefel hoch, eine fühlte ziemlich professionell meinen Puls, und die anderen erkundigten sich angelegentlich, ob ich an der nächsten Station kurz raus wollte (ging nicht, war eh schon spät dran), wo ich denn hinmüsste, ob das weit weg von der Ubahn-Station wäre, ob sie mich da hinbringen sollten, ob es denn ginge - wenn bei mir in solchen Situationen nicht automatisch jedes Gefühl einfach vorübergehend abgeschaltet wäre, dann hätte ich zu allem Überfluss auch noch vor Rührung heulen müssen. Die haben mich kaum gehen lassen, und dabei war der Spuk nach ein paar Minuten wirklich vorbei. Die meisten haben sich noch mit einem Klaps oder einem gedrückten Arm von mir verabschiedet, mir alles Gute gewünscht und mir noch irgend etwas Aufmunterndes mit auf den Weg gegeben. Danke, Muttis! Ihr wart toll. Und ich werde nie wieder an euch zweifeln.

5 Kommentare:

  1. Oh das ist toll, zu wissen, dass man nicht allein ist super

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  2. Da ist es doch toll, dass man so einen Blog hat und solche Geschichten da gleich reinschreiben kann!

    Ich bin übrigens auch AD (Abkürzungsdame) und hatte es als gutes Zeichen gewertet, dass du jetzt schwanger bist. Nun bin ich es tatsächlich auch: 8.Woche!

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  3. Liebe Flora,
    erstmal danke für Deinen schönen Blogg, der sicher vielen ICSI- und IVF-Mädels Mut gibt und immr mit der richtigen Portion Ironie. Unter anderem mir auch! Letzthin hatte ich mal überlegt ob ich sowas auch mal probiere, werde aber aufgrund der Impressumspflicht wohl beim guten altern Tagebuch bleiben.
    Alles Gute für den "Endspurt"!
    Liebe Grüß, A.

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  4. Puh, zum Glück weiß man bei Lesen des Beitrags schon, daß Du immerhin wieder schreiben kannst und es Dir wieder halbwegs gut geht. Keine Luft kriegen ist schlimm. Was genau war das denn? Blutdrucksprünge? Hat die Ärztin eine Vermutung?
    Da kriegen die Kommentare des letzten Posts noch den richtigen Nachdruck: Schonen! Das ist fast alles, was man tun kann, aber eben auch das Wichtigste. Alles Gute noch!

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  5. ojeh...armes momo. das luminal an sich verträgt sie ganz gut oder? liegt sie denn schon im oberen dosis-bereich? unser hund sprach damals erst auf die kombination luminal mit "dibro be mono" richtíg gut an. danach wurde es dann erfreulich deutlich besser. (bei dibro be salzarm füttern!). es dauert bei dibro be etwas, bis das angeflutet ist...(ca. 2 monate, wenn ich das noch recht erinnere)...geduld und gute nerven für euch weiterhin .... und einen dicken knuddler für die süße fellnase....das einstellen auf die medis und die richtige dosis dauert leider..... LG...die funny

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