Freitag, 5. Oktober 2012

Stände der Dinge.

Weil ein Tag mit solchem Weltuntergangswetter perfekt zum Aufräumen ist, wird heute mal sortiert. Jedes Ereignis, jeder Hirnfurz und jede Gefühlsregung kommt heute in die richtige Schublade. Das wird ein Post wie ein Leitz-Ordner! Seid ihr auch schon so aufgeregt?

1. Kinderwunsch.
Wunsch ist Wunsch, und er ist immer noch quicklebendig. Inzwischen sind wir übern Daumen seit sechs Wochen in der Kartei der Adoptionsbehörde, haben tatsächlich IMMER NOCH kein Kind und hoffen weiter das Beste. Die Schrecken der Adoptionsselbsthilfegruppe (die man vielleicht in Hilfe, Adoptionsgruppe! umbenennen sollte) weichen auch langsam aus dem System wie ein hartnäckiger Schnupfen. (Wieso bin ich eigentlich immer noch so aggro? Vermutlich bin ich einfach der aggressive Typ, weil meine Mutter während der Schwangerschaft beim Tatort dann und wann vor Aufregung den Bauch angespannt hat.) Trotz allen Willens, guter Dinge zu sein, gibt es immer noch diese Momente. Die kennen wir wohl alle viel zu gut. Heute morgen zum Beispiel kam ich vom Spaziergang mit den beiden Hunden. Und genau auf gleicher Höhe auf der anderen Straßenseite schob eine Frau, die mir auch noch ähnlich sah wie gespuckt, einen Zwillingskinderwagen. Ich zwei Hunde, die zwei Kinder - na? Die Symbolik würde wohl auch ein RTL II-Publikum verstehen. Ich habe kurz geschluckt und bin meiner Wege gegangen. Angesichts dessen, dass es MEINE Gebärmutter, MEINE Eileiter, MEINE Myome und MEINE Endometriose sind, die MIR eine erfolgreiche Schwangerschaft vermasseln, während das sonst scheinbar fast jeder Vollhonk hinkriegt (ganz besonders sogar die Vollhonks), dass es in UNSEREM Auto keinen Kindersitz gibt und vielleicht auch nie geben wird und dass ICH die bin, die immer anderen verstohlen auf den Bauch glotzt, ob das eine Schwangerschaft ist oder vielleicht nur ein gesunder Appetit, fällt es mir manchmal schwer, das nicht persönlich zu nehmen.

2. Spocht.
Ich gebe es zu, ich bin ein bisschen abgewichen vom Grünkernbuch. Jetzt bin ich in der Phase, in der ich eigentlich fünf Minuten laufen sollte, dann zehn Minuten lustige Trimm-Übungen im Park, dann noch mal 25 Minuten laufen und dann 5 Minuten Barfußtraining bzw. Barfußschlappentraining auf der Wiese. Diese Muskelübungen sind nicht nur wahnsinnig anstrengend (was ja der Sinn der Sache ist), sondern auch ziemlich peinlich. Die Hundebesitzer aus dem Viertel, die mich alle nur mit Lili und Momo kennen, werden schon witzig genug, wenn ich zur Abwechslung mal in Laufsachen an ihnen vorbeirenne. Mache ich Seitstütze und Käsekästchen, dann wird es zum Kabarett, und Kabarett habe ich schon als Schulmädchen gehasst. Deshalb laufe ich jetzt einfach fünf Kilometer, das dauert so ungefähr eine halbe Stunde, dann gehe ich nach Hause, mache dort im Schutz meiner undurchsichtigen Backsteinwände ein paar Muskelübungen und renne bei Gelegenheit zehn Minuten mit Barfußschuhen durch den Garten, zur großen Freude der Hunde. Das geht ziemlich gut. Auf manchen Strecken kann ich die Hunde sogar mitnehmen, das geht immer dann, wenn wir nicht an einer Straße entlangmüssen. Auf der Waage tut sich immer noch nicht so viel, aber im Spiegel inzwischen schon. Finde ich. L. findet das auch.

3. Haus.
Wir haben den Durchgang zwischen Schlafzimmer und Gästezimmer dicht gemacht, dafür im Gästezimmer einen Teil des hässlichen Einbauschrankes rausgerissen und dafür die alte Tür vom Gästezimmer in den Flur wieder geöffnet. Wenn meine Familie dieses Jahr an Weihnachten zum ersten Mal bei uns feiert, können meine Eltern nachts aufs Klo, ohne auf Zehenspitzen durch unser Schlafzimmer schleichen zu müssen (was uns überhaupt nicht gestört hat, sie aber sehr). Außerdem kriegen wir demnächst neue Fenster, und wenn ich in den nächsten drei Tagen mal irgendwann drei Stunden Zeit habe, pflanze ich zack-zack noch schnell dreißig Pflanzen ein. (Denke ich jetzt. Fragt mich Sonntag noch mal.) Es ist ein großer Nestbautrieb ausgebrochen, den ich so nicht an mir kenne, und es ist ein echter Jammer, dass ausgerechnet jetzt plötzlich so viel zu tun ist, während ich mir noch vor vier Monaten ganze Arbeitstage lang Beschäftigungen suchen musste. Ich glaube, nachher backe ich einen Kuchen, das riecht dann immer so gut, und L. wird ihn schon essen, da habe ich keine Sorge. Immer mal wieder, wenn L. und ich mit dem Auto unterwegs sind, fährt L. durch irgendwelche schicken Wohnviertel, die näher an der Stadt liegen, und dann phantasiert er davon, dass wir ja in ein paar Jahren auch in so ein Haus ziehen könnten. Dann gucke ich im Vorbeifahren auf das Jugendstil-Prachtstück mit seinem Wintergarten und der makellosen Fassade und schlucke und denke, hier kriegt mich so schnell keiner weg. Irgendwann schon, aber nicht für das gleiche in properer und zentraler. Die alte Kiste ist mir wirklich ans Herz gewachsen. Hier wohnen wir.

4. Job.
Schreib ich heute wohl mal nichts zu. Der hat mich gerade sowieso schon 12 Stunden täglich in seinen Klauen und verfolgt mich bis in meine Träume, da kann wenigstens im Blog mal Ruhe sein.

5. Hunde.
Unser Adoptivhund ist glücklich hier. Jedenfalls denke ich das. Als wir sie vor einer Woche von ihrem alten Frauchen wieder in Empfang genommen haben, hat sie fast geschrien vor Freude. Und jetzt trotten und zotteln die zwei wieder einträchtig nebeneinander her, wenn wir uns aufmachen. Sie ziehen zu zweit an ollen (manchmal leider auch neuen) Socken, ringeln sich zu zweit aufs alte Sofa zum Schlafen und begrüßen sich morgens mit einem Nasenstupser. Schlage ich morgens die Augen auf, gucke ich in zwei strahlende Fellgesichter. Ich glaube, das war eine gute Entscheidung, Momo zu uns zu nehmen.

6. Geld.
Wenn ich mal in Ruhe ausrechne, was ich als Selbständige ohne große betriebliche Ausgaben (ein Rechner, über zwei Jahre alt. Dann und wann eine Druckerpatrone. Das war es auch schon fast.) für Abgaben an die Steuer und die Künstlersozialkasse habe, kommen mir die Tränen, und es sind keine Freudentränen. Da hilft nur eins: entweder in die USA auswandern oder Zähne zusammenbeißen und weiter reinhauen, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Seitdem ich selbständig bin, habe ich genau zwei Jobanfragen abgelehnt. Eine kam von einer Bumsbude, für die ich ganz zu Anfang zweimal gearbeitet hatte. Ich war wirklich entsetzt und peinlich berührt, wie da gearbeitet wird, wie unseriös die sind, was für ein Quatsch da zu den Kunden geht - und nachdem der Chef ein paar mal ausdrücklich versucht hat, mich zu überreden, während eines Arbeitstages für eine andere Agentur "heimlich" für ihn zu arbeiten, habe ich irgendwann einfach gedacht, der kann sich zur Freelancer-Agentur scheren, und wenn der mir fünfmal den regulären Tagessatz zahlt, ohne mit der Wimper zu zucken. Das andere mal war es ein anständiger Arbeitgeber, ein anständiger Auftrag und überhaupt, aber ich war kurz vor Urlaub, und ihr dürft mich nicht verachten, wenn ich euch jetzt sage, dass ich bei solchen Gelegenheiten bis dahin immer gesagt hatte "ja gut, aber ich hab ja auch im Hotel Internet, gell?" und das irgendwie mitgemacht hatte. Aber diesmal nicht! (Geballte Kinderfäustchen. Gefletschte Milchzähne.)



1 Kommentar:

  1. Hallo Flora,
    danke für Deinen Blog und danke für Dein Buch das ich gerade lese. Es ist so schön etwas zu dem Thema zu lesen, dass Niveau hat, sehr humorvoll ist, gut geschrieben ist und genau das Thema behandelt, dass einen gerade schwer beschäftigt.
    LG und alles Gute für Deinen Weg!
    Ute

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