Samstag, 20. Oktober 2012

Als vierfache Uroma ist einem Nummer fünf vermutlich relativ wumpe.

Ich sitze im Zug in Richtung Dortmund, auf dem Weg zum neunzigsten Geburtstag meiner Oma. Langsam juckeln wir an Hafenkränen und Backsteinspeichern vorbei. Die zweite Klasse ist heute eine schon ziemlich fadenscheinige ehemalige erste Klasse, vollgekrümelt und mit leichtem Muff nach Jungszimmer, ein paar Rentner meckern über die "Servicewüste Bahn", aber das ist alles vollkommen in Ordnung und beeinträchtigt mich kein bisschen in meinem kleinen Nerd-Paradies hier in Wagen acht: mein Telefon ist mein Hotspot, ich kann gleichzeitig Bahn fahren und Internet, wie Serviceparadies ist das denn? Mit Glück kommt gleich auch noch ein Kaffeewägelchen vorbei. Niemand in der Nähe isst hartgekochte Eier oder Sülze, überhaupt wird wenig gegessen, das ist doch toll!

Neunzig wird die Oma. Ich habe sie sehr gern, und auch die Bemerkung über das gierige Negerkind, das wir besser nicht adoptieren sollen, hab ich fast schon vergessen. (Harr. Würde ich bei erster Gelegenheit darüber schreiben, wenn ich es vergessen hätte?). Früher war sie sehr unternehmungslustig und gesellig, hat mit dem Hausfrauenbund Käsefabriken in Holland und Knödelfabriken in Bayern besichtigt, war auf Gran Canaria und hat auf ihre alten Tage noch angefangen, Bridge zu spielen, ein, wie man hört, mörderisch anspruchsvolles Spiel, für das ich jedenfalls zu doof wäre. In den letzten Jahren zieht sie sich mehr und mehr zurück, und ich glaube fast, auch dieser Geburtstag mit ihrer versammelten Verwandtschaft samt vier kleinen Urenkelchen wird ihr vielleicht zu viel. Um fünf geht es los, und spätestens um acht werden wohl die Lichter bei ihr ausgehen. Ich weiß nicht, ob ihr ein fünfter Urenkel, ob adoptiert oder selbstgemacht, noch irgend etwas bedeuten würde - aber ich fände es sehr schön, wenn sie ihn noch kennen lernen könnte. (Meine Mutter war 24, als ich kam. Ich hatte zwei Uromas, eine ist gestorben, als ich zwei war. Die andere wurde wirklich urururalt und hat sogar mein Schwester, elf Jahre jünger als ich, noch auf dem Arm gehabt. Sie kam aus Bremen, tat kastaniengroße Kandisstücke in ihren Tee und hatte wiederum eine Verwandte namens Fockje Focken, was sich, im richtigen Tonfall ausgesprochen, anhört wie etwas, was Rage Against The Machine zu besten Zeiten von der Bühne gefaucht hätten.)

Übrigens bleibe ich bei der Stange, was den Vorsatz vom Tag nach dem Stammtisch angeht: seit diesem lustigen, aber auch verheerenden Donnerstag habe ich keinen Tropfen Alkohol getrunken. Ich war nüchtern auf dem Hamburger Oktoberfest (Albtraum, nicht nachmachen bitte bitte), nüchtern mehrere Abende mit den Mädchen (geht fabelhaft, und es ist schön, sich zur Abwechslung mal an alles erinnern zu können, was wir so plauschen), nüchtern im Steakhaus (alkoholfreies Bier. Schmeckt zu Steaks genau wie richtiges, zur Pizza geht es auch, vollkommen zu wuppen) und nüchtern auf einer Agenturfeier (langweilig. Aber wäre es mit Alkohol auch gewesen, nur dann eben langweilig mit Kater hinterher.) Heute steht mir die erste Familienfeier mit vielen zauberhaften Kindern ohne Alkohol bevor. Immerhin: ein paar Flüppchen habe ich in der Handtasche. Bin ich gespannt.

p.s. die befreunde Abkürzungs- und Adoptionsdame lässt ausrichten, vielen herzlichen Dank für all die Drücker, Wünsche und positiven Schwingungen, herrlich. Außerdem lässt sie sagen, sie hatte vollkommen vergessen, dass es nicht zwei, sondern drei Brummer waren in der Tiefkühle, und laut Klinik leben noch alle drei. Kämpft, Brummer! Kämpft!

2 Kommentare:

  1. Liebe Flora: Grandios, dieser Beitrag, ich hab mich köstlich amüsiert... und eben hoch motiviert alkoholfreies Bier gekauft, das mach ich Dir jetzt nach. Danke! Ein schönes Wochenende wünscht: J.

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  2. Ich drücke deiner Freundin mächtig die Daumen. Und falls sie überhaupt noch ein nächstes Mal nötig hat, würd ich ihr eine Reise nach Östereich sehr empfehlen. Wir dürfen hier Blastozysten-Transfers machen und das erhöht die Chancen ungemein. Manche Kliniken werben sogar mit 60 % Schwangerschaftsrate pro Versuch. Da kann man sich viel Tränen und Mühen ersparen.

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