Dienstag, 18. Oktober 2011

Die faule Haut

Mir gegenüber sitzt ein Kollege, dessen Frau gestern in zwei Wochen vermutlich ihr erstes Kind bekommt. Vor ein paar Wochen, zwei Wochen vor Anfang Mutterschutz, hatte sie merkwürdige Schmerzen, und ihre Frauenärztin (die zufällig auch meine ist, die, bei der ich damals zu meinem ersten Nicht-Klinik-Schwangeren-Termin angetanzt bin und, tada, eigentlich nicht so schwanger war wie gehofft) hat sie krank geschrieben. Letzte Woche kam dann der bei Baby Walz georderte Kinderwagen und stand einen Tag lang in unserem Büro herum. Ich habe eine alte Bekannte, die mich in den letzten Jahren wiederholt und bestimmt mit Recht angemahnt hat, mich gefälligst mal wieder zu melden, und ich schaffe es nicht, und als ich mich vor ca. zwei Wochen mal aufraffe und gucke, was sie so auf facebook treibt, ist sie schwanger. Meine Cousine ist zum zweiten Mal schwanger. Eine Freundin von L. und mir ist schwanger. Es häuft sich gerade so, dass ich das Gefühl habe, wenn ich jedes Gespräch mit der Frage "Bist du/sie bzw. deine/ihre Freundin schwanger?" eröffnen würde, hätte ich eine Trefferquote von 30%, und ich wohne in einem Stadtteil, wo fast jeder über 60 ist. Ich freu mich für alle. Jetzt kommt kein Aber, ich freue mich. Aber... verdammt, jetzt kommt es doch. Vielleicht können wir es doch noch abbiegen in ein einerseits - andererseits: EINERSEITS freue ich mich für sie alle, bin nicht neidisch und gönne es ihnen, vielleicht ja auch deshalb, weil es da nichts zu gönnen oder zu missgönnen gibt - es ist einfach, wie es ist. ANDERERSEITS habe ich gerade zum ersten Mal seit Beginn dieser langen langen Kinderwunschgeschichte das Gefühl, all die Schwangerschaften und Kinder ziehen einfach an mir vorbei, und ich sitze hier, als hätte ich den Bus verpasst, und jetzt werfe ich einen Blick auf den Fahrplan, um zu sehen, wann der nächste kommt, und... Moment... warte mal... das ist ja doof jetzt, "nie mehr"?
Das Gefühl wird hoffentlich nicht anhalten und sich spätestens mit der ersten weggeworfenen Hormonspritzenampulle, die ich in meinen Badezimmermülleimer werfe, wieder verziehen. Aber ich bin auch gerade zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder dankbar für mein Fusselhirn. Es macht mir oft Kummer, dass ich so zerfahren und zerstreut bin, dass ich morgens nicht mehr weiß, was L. mir zum Einschlafen erzählt hat, dass ich mir auch sonst so wenig merken kann und dass bei mir der Weg von Aufgabe zu Erledigung immer noch über 18 Dörfer führt und ich mindestens in drei geistigen Ausflugslokalen Päuschen machen muss. Aber jetzt bin ich froh, dass ich nicht so irre konzentriert und fokussiert sein kann wie andere. Denn neben diesem Fruchtbarkeits-Mauerblümchen-Gefühl haben ganz viele andere Platz. Ich freue mich auf unsere drei Reisen in den nächsten drei Monaten (leiden auf hohem Niveau nennt man das wohl) nach Kopenhagen, New York und Wien, ich freue mich auf die viele Schreiberei, die ich diesen Winter vorhabe, und ich freue mich darauf, vielleicht mein erstes Weihnachten bei mir zuhause für meine Familie auszurichten. Und trotzdem, manchmal, wenn ich ein bisschen müde bin oder friere, dann fühlt sich dieses ganze Trotzdem Freuen an wie eine Sportart.
Nun sag mal ehrlich, Weight Watchers-bedingter Pasta-Entzug. Da hast doch du deine knochigen Finger im Spiel?

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