Donnerstag, 10. Februar 2011

Kinderlosigkeit ist auch bei Hunden kein Spaß

Kurz vor Weihnachten war ich mit Lili eines Abends zum letzten Gang unterwegs, als wir auf der Wiese einem Mann aus dem Viertel begegneten, der mit einer kleinen Digitalkamera Fotos von seinem Hund machte. Es war zwar stockdunkel und die Wiese war eine eisige, matschige Kraterlandschaft, aber die Fotos sollten hübsch werden: der Hund sollte sitzen und bleiben, also still halten. Lili, grundsätzlich begeistert, andere Hunde zu treffen, störte das Shooting. Der Mann wurde aber nicht böse, sondern ließ nur resigniert die Schultern hängen. "Es geht nicht mehr. Zu Weihnachten müssen wir ihn einschläfern lassen." Ich brummte etwas Teilnahmsvolles und streichelte dem todgeweihten Hund über den dicken Kopf. Das war alles zu schrecklich. Jeder, der schon mal ein Haustier verloren hat, weiß, dass es schlimmer zwar grundsätzlich immer geht, aber dass nichts anderes auf genau diese Art schlimm ist.
"Als wir Nola einschläfern lassen mussten und die Ärztin mit der Spritze reinkam, hat sie sogar noch mit dem Schwanz gewedelt" hat meine Schwiegermutter heute erzählt, und wir haben nur genickt. Dazu muss man gar nichts weiter sagen, so sind sie. Ich bin heute noch froh und dankbar, dass ich nicht mit erleben musste, wie unser Königspudel Grobi erst nach einem Schlaganfall wochenlang vor sich hinvegetierte und dann im Kreis der ganzen Familie minus Flora eingeschläfert werden musste. Ich saß damals in Hamburg mit ganz eigenen Sorgen, mein Freund hatte mich im astreinen Soap-Opera-Stil sitzenlassen, während mein Exfreund im astreinen Akte-X-Stil durchdrehte. Dieses Sahnehäubchen blieb mir also erspart.

Gerade eben, als ich zum ersten Mal seit dem frisch geschliffenen Fußboden am Schreibtisch meines neuen Arbeitszimmers saß und nach draußen auf die Wiese guckte, lief gerade der Mann vorbei. Er rauchte und trottete ein bisschen träge einem zotteligen, quirligen Welpen hinterher, der kreuz und quer durch den Matsch fegte. Ich dachte, gut, dass er sich wieder einen Hund geholt hat. Man kann gar nichts dagegen tun, von einem Welpen getröstet zu werden, und wenn man noch so trauern will.

Vor ein paar Tagen habe ich im Magazin der Süddeutschen gelesen, wie erstaunlich das ist, dass Menschen ihr Hundchen immer lieben. Man fährt in einen Ort, in dem man nie vorher war und auch vermutlich später nie wieder sein wird, steht in einem Schuppen vor der schier unmöglichen Aufgabe, sich einen von zehn Welpen auszusuchen, tut es dann trotzdem, nimmt das Tier ein paar Wochen später mit nach Hause, und 48 Stunden später ist man verknallt. Es ist wie das unwahrscheinliche Happy End einer arrangierten Hochzeit. Aber für mich ist das fast noch erstaunlichere Wunder, dass es umgekehrt auch funktioniert: unser Hund liebt uns. Wenn jetzt jemand mit der Futtergeschichte kommt und mir erzählen will, Lili wäre eine kleine Chappie-Nutte, dann lasse ich ihn einfach stehen. Wir sind die Leute, die damals vor ungefähr einem Jahr in ihrem Schuppen standen, noch kurz zwischen ihr und ihrer kleineren, zarteren Schwester geschwankt haben (sie war ein Riesenbrummer, der erste Welpe, der rauskam, immer die erste an der Zitze und am Futternapf) und dann doch unbedingt sie haben wollten. Wir sind die mit dem viel zu kleinen Auto, wo sie sich immer zwischen die Füße quetschen muss, die deren Kleider sie manchmal fressen darf und manchmal nicht, was ja wohl kein Mensch verstehen kann, und die, die ständig anderes Futter kaufen, obwohl in allen schlauen Hundebüchern steht, dass Hunde immer das Gleiche fressen wollen. Und all das ist genau so egal wie unsere Frisuren, unser Gewicht, unser Einkommen, ob wir unsere Schuhe putzen und ob wir in den richtigen Läden verkehren (in denen wir sowieso seit Lili viel, viel weniger verkehren, egal ob richtig oder falsch). Dieses Tier wurde durch reinen Zufall und die Nachhilfe einer ebay-Kleinanzeige in unseren Haushalt verpflanzt, und sie tut so, als wäre das alles ein Naturgesetz und in jeder Hinsicht richtig.

Was sie bisher nicht ahnte, ist, dass sie ihr Hundeherz an zwei Monster gehängt hat.

Wir haben uns heute morgen den Wecker auf sieben Uhr gestellt, dann haben wir geduscht und uns angezogen, und dann sind wir mit der nichts ahnenden Lili zu Fuß zum Tierarzt gegangen. Sie bekam eine Beruhigungsspritze, die scheinbar weh tat, ist uns prompt in die Arme gesprungen, dort langsam ein bisschen dösig geworden, dann auf den Boden gerutscht, wir haben sie zusammen auf den Tisch getragen, sie hat nach ca. neun Anläufen einen Zugang in die Vene an der rechten Vorderpfote bekommen, dann eine Narkose, und dann mussten wir mit ansehen, wie der völlig bewusstlose und sonst so energiegeladene Hund nach nebenan getragen wurde, und die Tür ging zu. Und als wir sie zwei Stunden später wieder in Empfang genommen haben, war sie kastriert.
Richtig: Ich habe heute meinen Hund kastrieren lassen. Natürlich ist das alles in ihrem Interesse. Hündinnen, die keine Jungen bekommen, bekommen fast immer später Krebs. (Bei Grobi war das auch so, leider.) Sie werden alle paar Monate für drei Wochen heiß, dürfen dann nicht ohne Leine laufen, und je älter sie werden, desto öfter und länger sind sie heiß. Angenommen, Lili hätte doch Junge bekommen, dann wären wir die Kleinen - meistens sind es so um die zehn - vermutlich nur schwer an nette Hundeeltern losgeworden, denn weder Lili hat Papiere, noch hätte die irgend einer ihrer Welpen, und leider ist das für viele Leute sehr wichtig. Es hätte damit geendet, dass wir irgendwann hätten einsehen müssen, dass wir nicht sieben Hunde haben können, und ein paar davon hätten wir ins Tierheim geben müssen. Ins Tierheim! Das wäre nicht gegangen. Es wäre alles ein fürchterliches Elend gewesen. Für alle beteiligten war das gut so heute, auch für Lili, die jetzt beste Aussichten auf ein langes, krebsfreies und leinenloses Leben hat. Trotzdem fühle ich mich wie... Kinderwunschfrauen, denen der ganz normale Psychowirbel irgendwie zu langweilig und farblos erscheint, sind herzlich eingeladen, sich einen Welpen zu kaufen und ihn ein Jahr später kastrieren zu lassen. Das zwiebelt.

Ach je. Und jetzt kommt sie an und legt ihren Kopf mit dem "Kragen" (einem steifen Trichter aus Plastik um ihren Hals, der dazu da ist, sie davon abzuhalten, sich die Fäden schon mal selbst zu ziehen, was sie natürlich nicht weiß und auch nicht verstehen wird, so lange sie das Ding nun tragen muss - zehn Tage!) auf meinen Schoß. Ich bin ein Monster.

1 Kommentar:

  1. Oje, liebe Flora! Ich verstehe Dich so gut. Meine Striezi (Katze des Herzens) wurde letztes Jahr kastriert und ich habe SCHRECKLICH mit ihr gelitten. Gute Besserunng für Lili und Kopf hoch für Dich.
    Chrissi

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