Freitag, 24. Dezember 2010

Dreißig Haselnusskekse für Hormonbrödel

Als ich gestern in der Bahn zu meinen Eltern saß, war ich umgeben von Menschen, die wild entschlossen waren, auf dieser Fahrt etwas zu erleben. Gut, am Ende hatten wir nach fünf Stunden Fahrt eine Stunde Verspätung, weil wir in jedem einzelnen Bahnhof mehrere ICEs durchlassen mussten. Aber davon abgesehen war die Fahrt so normal, wie man sich das nur vorstellen kann. Alle hatten Sitzplätze. Niemand wurde angebrüllt oder verletzt. Der Strom fiel nicht aus. Die Gleise waren nicht blockiert, die Oberleitungen nicht beschädigt, die Selbstmörder hatten sich entschlossen, noch einen Tag zu warten. Wir saßen warm, trocken und mit ausreichend Verpflegung und Lektüre in einem Zug, in dem jedes einzelne Klo für den Publikumsverkehr offen stand. Trotzdem wurde gekeift nach Leibeskräften. Neben mir saß eine Frau, die jedes Mal, wenn ich das Buch sinken ließ, sagte "Aaaaain Glück hab ich reserviert, das muss man sich mal vorstellen!" und sich vielsagend in dem Waggon, in dem es noch mindestens drei freie Plätze gab, umguckte. Auf der anderen Seite des Ganges saß ein Mädchen mit seinen Büchern und seinem Rechner, auf dem sie sich Filme ansah, und telefonierte. Sie telefonierte mit sieben verschiedenen Menschen, und jedem davon sagte sie, das hier wäre "echt ne Höllenfahrt". So ist das wohl, wenn man erwartet, dass es jetzt so richtig fies wird, dann empfindet man das, was kommt, auch als fies. Womit wir wieder mal beim Thema IVF wären.

Und schwupps, auch schon wieder davon weg.

Dieses Jahr feiere ich Heiligabend zum ersten Mal seit drei Jahren ohne L.
Schuld ist der Schnee. Es wäre bei diesen Wettervorhersagen einfach nur bescheuert gewesen, wenn wir uns mit Hund ins Auto oder in die Bahn gezwängt hätten (mit gezwängt meine ich gezwängt, wir fahren Zweisitzer, und der Hund wird zwischen meinen Füßen zu einem Fellwürfel gepresst), um uns auf die 650 km lange Fahrt zu meinen Eltern zu machen. Weil wir aber nun mal den Deal haben, Weihnachten abwechselnd bei L.s Familie und bei ihnen zu verbringen und dieses Jahr auch sonst alles ein bisschen anders ist, hätten wir nicht beide wegbleiben können. Also bin ich allein in die Bahn gestiegen, in der sicheren Gewissheit, dass L. das genau so meint, wenn er sagt, dass wir eben dieses Jahr Heiligabend am 25. feiern. Das ist eine seiner zahllosen guten Eigenschaften. Und so machen wir das jetzt. Heute sitze ich hier, hoffe, nicht den Moralischen zu kriegen, starre nach draußen in den Schnee und pule mir Haselnussstückchen aus den Zähnen. Den Baum haben wir auch schon geschmückt, meine Geschenke sind eingepackt, und mit Glück sind sogar die Kinderkostüme (Hai, Kroko und Tiger) für die Kinder meiner Cousinen angekommen.

Womit wir wieder bei IVF wären (nein, nicht meine Cousinen!). Und auch gleich wieder weg. Weihnachten ist meiner Meinung nach irgendwie nicht der Tag dafür.

Liebe Abkürzungsdamen, ich wünsche allen ein fabelhaftes Fest ohne zu viele kalte Stellen und blöde Fragen. Und wisst ihr, was das Tolle an diesem Hormonschlamassel ist, in das wir da geraten sind? Wir haben eine großartige Ausrede für jedes Speckröllchen. Die anderen sind einfach nur dick, aber wir haben ein Schicksal!

Genau. So sehe ich das ab sofort.

2 Kommentare:

  1. Frohe Weihnachten! LG Wuzal

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  2. Liebe Flora,
    frohe Weihnachten, mit ohne ohne Schicksal! Interessanter Gedankengang!
    Liebe Grüße
    vom Ev

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