Mittwoch, 27. Oktober 2010

Statt eines Kastanientiers bastele ich mir einen Kastanienpost

Auf jedem Spaziergang kommen Lili und ich über einen großen, schönen Platz. Um den Platz herum stehen rote Klinkerhäuschen mit weißen Sprossenfenstern, und auf dem Platz stehen Bäume, die so alt sind wie die Häuser - also sehr alt. Viele davon sind Kastanien. Lili liebt Kastanien. Sie findet Bälle jeder Art großartig, und Kastanien gehen als Bälle durch, vor allem, seit ich sie werfe. Ich mag Kastanien auch gern und hole jedes Jahr im März aus den Taschen meiner Wolljacken ihre verschrumpelten Leichen. ("Ersetzen Sie im vorangegangenen Satz das Wort "Kastanien" durch das Wort "Kaninchen", und plötzlich wird dieser Blog ganz, ganz gruselig.") Ich mag sie so gern, dass ich sie ständig befühle und mir dabei von Herzen wünsche, es gäbe Möbel, die sich so schön anfühlen und so aussehen wie eine frisch vom Baum gefallene Kastanie. Lili nimmt Kastanien furchtbar gerne in den Mund, und wenn ich eine Kastanien drei- vier mal für sie geworfen habe, zerbeißt sie sie. Es macht gar nichts, wenn Lili an einem sonnigen Herbsttag auf diese Art 80 Kastanien zerbeißt, denn erstens sind die Bäume groß und fruchtbar, und zweitens scheint sich außer Lili und mir niemand für die Kastanien zu interessieren. Niemand schleppt tütenweise Kastanien nach Hause, um sie auf sein Fensterbrett zu legen oder mit Zahnstochern lustige Tiere daraus zu basteln.

Die Wahrheit ist, es gibt wenig Kinder in dieser Siedlung.

Dabei wäre sie perfekt für Kinder. Wenig Autos, und die paar, die fahren, fahren langsam. Nette Häuschen mit großen, verwunschen Gärten. Dazwischen Parks mit Spielplätzen, die nie überfüllt sind. Parkplätze für die Kombis, die man als Kinderbesitzer zu brauchen scheint. Aber die meisten unserer Nachbarn sind aus dem Kinderalter raus; falls sie Kinder haben, dann kommen die drei mal im Jahr zu Besuch und basteln auch bei dieser Gelegenheit nichts aus Kastanien. Während hier 70jährige durch ihre 250-Quadratmeter-Häuser schluffen und alles plötzlich so still ist, wohnen die Leute mit Kindern in Eimsbüttel und wissen nicht so richtig, wie lange das noch gut geht zu dritt oder viert auf 60 Quadratmetern mit winzigem Balkon, gruseln sich aber auch zu Recht davor, für die gleiche Miete 100 Quadratmeter in Steilshoop zu beziehen.
Herbst ist bei mir immer die Jahreszeit, sich mal Gedanken zu machen über alles und überhaupt. Und das führt dazu, dass ich mir gerade einerseits denke: vielleicht haben wir zwei, L. und ich, ein Kapitel übersprungen, und dann doch wieder nicht so richtig. Obwohl wir das alles - Kinderkriegen - hoffentlich noch vor uns haben, rentnern wir hier so vor uns hin. (Falls man von rentnern sprechen kann, wo ich gerade in Arbeit ertrinke.) Andererseits ist es doch auch eine schöne Aufgabe, eigenhändig dafür zu sorgen, dass in diesem Viertel demnächst der Altersdurchschnitt vielleicht ein bisschen sinkt.

Flora ist von der Pille weg, und ich hab noch nicht meine Tage. Für jede Minute bin ich dankbar, die ohne diesen Terz vergeht. Gleichzeitig bin ich gespannt, ob jetzt, endometriosebefreit, das alles nicht sowieso nicht mehr so schlimm ist. Und weil ich meiner Meinung nach einen gut habe bei der Endometriose (immerhin: anderthalb Fehlgeburten? Bisher drei Bauchspiegelungen? Hallo?) wünsche ich mir, dass die days of wine and roses noch bis Montag auf sich warten lassen, weil ich dieses Wochenende endlich mal wieder zu einem Damenwochenende nach Berlin fahre und in den Hauptstadtclubs jedenfalls nicht ausgerechnet dadurch Aufmerksamkeit erregen will, dass meine dicke Binde (Tampons darf ich ja nicht) so knistert wie eine Windel.

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