Dienstag, 19. Oktober 2010

Eindeutig Rundregulation, würde ich sagen

Es ist 5 Uhr 17, und Flora schreibt einen Post. Gestern WAR aber auch ein Tag! Nach einer Nacht, in der ich übern Daumen drei Stunden geschlafen habe - einfach so, eine flippige Laune meiner Nerven - habe ich mich morgens ächzend, fluchend und Haare raufend aus dem Bett gepellt und bin zur Arbeit gefahren. Die Arbeit hat sich in diesem Fall schon seit ein paar Tagen wieder langsam gemuckst, obwohl doch gestern eigentlich erster Arbeitstag sein sollte. Wer will es der Arbeit verdenken? Heute ist ein wichtiger Präsentationstermin, die Hälfte der Belegschaft ist entweder krank oder sitzt auf fremden Kontinenten fest, und da dachten sie, sie rufen mal an. Von Bett und Sofa aus hab ich getan, was ich konnte, aber trotzdem war gestern schon in dem Moment, in dem ich aus winzigen knallroten Augen in den Spiegel gestarrt habe und das alles nicht fassen konnte, vollkommen klar, dass dieser Arbeitstag ein knallvoller, anstrengender und langer werden würde.
Wodurch fast ein bisschen in den Hintergrund geriet, dass gestern außer einem dicken fiesen Arbeitstag auch der große Tag war. Der Tag, an dem unser Buch endlich erscheint. Eigentlich - ganz eigentlich - hätte das danach verlangt, dass ich mich in den Zug setze, meine Coautorin von ihren sicher auch unaufschiebbaren Jobs abhalte und wir den ganzen Tag lang Luftschlangen pusten und sprudelnde Getränke trinken. Auch, wenn ich leider bis jetzt noch keins der Bücher gesehen habe, der Verlag hat fest versprochen, heute ist es so weit.
Zwar hatte ich gestern also Stress und noch kein Buch, aber auch einen Arzttermin: Nachsorge und Wie-gehts-weiter in der Klinik. Um die Mittagszeit habe ich also trotz sich durchbiegendem Schreibtisch irgend etwas gemurmelt, meine Tasche geschnappt und mich auf den Weg zur S-Bahn gemacht, so schnell das mit meinen aus irgend einem Grund täglich größer und ausgelatschter werdenden Mittelpumps ging. Schlupp-Schlupp. (Ein bisschen wie Clogs mit Socken. Aber ich schweife ab.) Es stellte sich heraus, dass Frau Doktor mich weder auf dem Stuhl noch ohne Hose sehen wollte, "da gibt's jetzt nichts zu sehen, das wäre Quatsch." Stattdessen las sie mit mir zusammen noch mal den OP-Bericht, in dem nichts wirklich Neues stand: schlimme, schlimme Endometriose, große Wundfläche, lange Heilungszeit, dringend empfohlene Hormonbehandlung. Im Krankenhaus hatte der Arzt das noch als "Hormonkur, die Sie vorübergehend in die Wechseljahre versetzt" bezeichnet, das klang nicht so verlockend. Frau Doktor nahm in dem Zusammenhang gestern zum ersten Mal die Worte "langes Protokoll" in den Mund, und in dem Moment war klar: Aaaah, ist doch gar nicht so schlimm, ist doch langes Protokoll. Wie eine extended Version des kurzen Protokolls? So in etwa, und eigentlich nicht besonders kompliziert. In ungefähr zwei Monaten darf dann das Krankenhaus noch mal in meinen Bauch gucken, und danach entscheiden wir, ob wir nur stimulieren oder meine dritte IVF starten. Außerdem ist der Chinamann erst mal draußen, zu viel Hormone für seinen Geschmack, stattdessen soll ich nun zur Osteopathin. Mit Rezept wurde ich in die Apotheke geschickt, wo ich erfrischenderweise nur zehn Euro zu zahlen hatte und ein kleines Päckchen mit meiner Spritze bekam (wie die hieß, weiß ich gerade nicht mehr, und wenn ich jetzt ins Schlafzimmer und an meine Hose schleiche, um den Beipackzettel zu suchen, wacht L. auf - also morgen). Mit Spritze kam ich zurück in die Klinik, musste noch kurz warten und dann Blut lassen und mir die Spritze in den Bauch geben lassen. Wobei mir erklärt wurde: eigentlich darf ich das auch selbst, aber von diesen Spritzen brauche ich nur alle vier Wochen eine, und das Anmischen (Spritze in Ampulle stechen, Spritzeninhalt in die Ampulle drücken, alles gut schütteln, Ampulleninhalt zurück in die Spritze ziehen, alte Nadel ab, neue Nadel drauf, Luft raus und dann ca. ein Schnapsglas voll milchiger Brühe in den Bauch) ist ein bisschen komplizierter als Gonal - deshalb haben sie mir das gerne abgenommen. Während die Arzthelferin drückte, rettete ich den Beipackzettel aus dem Müll als Lektüre für die S-Bahn-Rückfahrt ins Büro. Und wieder mal machte ich die Beobachtung: egal, wie viel Kummer, Grübeleien, Wut und Verwirrung in meinem Kopf vorher geherrscht hat angesichts unklarer Aussichten, was das jetzt alles schon wieder werden soll mit noch mehr OPs und noch mehr Medikamenten, ein kurzer Besuch in der Klinik (das war bei der alten meist auch so) reicht, und plötzlich ist doch eigentlich alles gar nicht so schlimm. Wir downregulieren mich jetzt, genau! In vier Wochen bekomme ich noch eine Spritze, und auch der Rest des Plans klingt auf einmal ganz vernünftig und so, als wäre es genau das Richtige. Fein, fein.
Leider hatte ich die Zeit, die ich eigentlich beim Schnellitaliener in der Herbstsonne mit Pasta und einem Gläschen Rotwein zur Feier des Tages verbringen wollte, im Wartezimmer mit der Bunten verbummelt und musste mit meinen Schlabberschuhen zurück zur Bahn. Auf dem Weg dahin piepte mein Handy zum ersten Mal: L. hysterisch auf der Mailbox, er war gerade beim Friseur, und das Buch ist auf Seite vier der Bild. Fieberhafte SMSen mit Coautorin, Mädchen, dazwischen Telefonate mit L., für den das alles fast so toll war, als hätten wir auf Seite vier im Kicker gestanden. Dann zurück in die Firma und schon beim ersten Schritt ins Büro beinahe erschlagen von einer Arbeitslawine. Keine Zeit für aufgeregte Emails, Kontrollklicks bei amazon oder sogar Blogposts. Bis mir irgendwann in der ganzen Hektik auffiel: Diese Wölbung da unter deinem Pulli, die gehört da eigentlich nicht hin. Schnell mit Beipackzettel aufs Firmenklo: mein Bauchnabel steht jetzt, wie es in einem amerikanischen Film heißen würde, auf halb drei. Da, wo er eigentlich mal war, ist eine dicke, knallrote und ziemlich empfindliche Kugel, gefüllt, könnte ich mir denken, mit einem Schnapsglas voll milchiger Flüssigkeit.
Wieder mal zeigt sich: es ist auch nicht immer nur schlimm, so verfressen zu sein wie ich! Die Gazellen aus dem Nachbarbüro z.B. könnten nicht mit so einer Kugel rumlaufen, ohne alle zwei Minuten gefragt zu werden, was das denn bitte sein soll. Ich dagegen komme mit sowas durch (vielleicht ja auch, weil ich inzwischen auf die 40 zugehe und man dann nicht mehr ganz so nassforsch fragt, wenn sich plötzlich etwas Unschönes an der Figur tut...). Ein Blick auf den Beipackzettel zeigte, ich kann in den nächsten Tagen mit Durchfall, Verstopfung, Stimmungsschwankungen, Hautunreinheiten, Brustvergrößerungen und -Verkleinerungen und noch einigem anderen rechnen. Hormonkur! Yeiiiih!

So. 5:45. Hab ich irgend etwas vergessen? Arbeitsstress, Erscheinungstermin, Bildzeitung, Spritze, Kugelbauch. Damit zurück ins Bett.

1 Kommentar:

  1. Auch wenn die Grundlage, auf der dieser Blog ruht, nicht zum Lachen ist, so musste ich beim Lesen dieses Artikels doch recht schmunzeln. Ich drücke auf jeden Fall die Daumen für alles was noch kommen mag. Herzliche Grüße!

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