Dienstag, 29. Juni 2010

Ach, Hundekind.

Ich glaube, das war irgendwann im Oktober, und ich war gerade dabei, irgendwas mit Knochen drin zu kochen. Und auch viele, viele Jahre, nachdem unser alter Familienhund tot ist, habe ich immer noch den Reflex, einen Knochen nicht in den Müll zu werfen, sondern mit meiner verlockendsten Stimme "Leckerlecker" zu rufen und den Knochen auf den Boden fallen zu lassen, wo er nie aufschlagen wird, weil inzwischen längst der Hund da ist und ihn Volley auffängt. Jedenfalls stand ich im Oktober am Herd und hatte wieder den Knochenimpuls, und da wusste ich auf einmal, dass ich wieder einen Hund haben will. Nicht als Ersatzkind! Auf gar keinen Fall! Schließlich ist das schlimmste kinderloseste Paar, das mir einfällt, meine Tante und mein Onkel, die ihre Dackel notfalls auch vergoldet hätten. Das waren Ersatzkinder, die wollte ich also nicht.

Aber ein Hund tröstet so schön. Er freut sich halbtot, wenn man nach Hause kommt. Er ist weich und warm und immer da. Er treibt uns bei jedem Wetter nach draußen, so dass es jedenfalls nicht an Frischluftmangel liegen kann, wenn wir zwischendrin mal schlapp und melancholisch sind. Und die Wahrheit ist, wenn ich schwanger geblieben wäre und im März ein Baby bekommen hätte, dann hätten wir den Teufel getan und uns im Januar Lili geholt. Obwohl ich finde, kleine Kinder und Hunde passen fabelhaft zusammen, wäre mir das zu viel gewesen. Ich hätte es nicht geschafft, täglich zwei-drei Stunden mit dem Hund durch die Natur zu laufen, sondern höchstens kleine Pinkelgänge, und dann hätten meine Schuldgefühle mich Tag und Nacht fertig gemacht und mich aus großen runden Hundeaugen traurig angestarrt. Wir haben also den Hund nicht als Kind, aber irgendwie doch auch ein bisschen, weil wir kein Kind haben. Und wenn ein Kind kommt, dann ist der Hund aus dem Gröbsten raus, mir ist der Spaziergang durch Lilis neue Wald-Hood in Fleisch und Blut übergegangen, und alles passt perfekt zusammen. Und dann ist da noch diese Sache mit den Hundebesitzern. Obwohl ich mir SICHER bin, dass wir Lili nicht wie ein Ersatzkind behandeln, halten andere Hundebesitzer das ganz anders. Wobei, falsch: für die ist der Hund Kind, Beruf und Religion noch gleich mit. Anfangs habe ich mich immer gefreut, wenn sich von Weitem im Park ein Mensch mit Hund nähert. Inzwischen denke ich: Hund, wie schön, aber Mensch, uäääch. Von 100 Hundebesitzern haben nämlich 70 eine Mission. Du denkst, sie führen den Hund aus. Dabei verbreiten sie eigentlich die frohe Botschaft von der Rohfütterung. Wusstet ihr, dass ein Hund nicht älter als sechs Jahre wird, wenn man ihm nicht täglich eine frische Matschepampe aus rohem Pansen, frisch zermahlenen Knochen, Distelöl und Sellerie zu fressen gibt? NOCH kann ich darauf antworten, dass meine Knochenmühle leider noch im Umzugskarton ist, aber ewig wird mich das auch nicht retten. Andere Hundebesitzer sind nicht nur FÜR Rohfütterung, sondern führen auch einen Feldzug gegen industriell zubereitetes Hundefutter. Das sind nämlich Verbrecher. Man öffnet eine Hundefutterdose, sieht Aspik und denkt "das ist aber viel Fleisch". Falsch, ganz falsch! Das Aspik, also der Glibber, kommt daher, dass im Hundefutter Autoreifen sind. Da staunt ihr, ich hab auch gestaunt! Dann gibt es noch die verschiedenen Hundeschulen. Im Grunde machen alle was falsch. Und du musst dann sehen, wie du mit der Todesmaschine, die da herangezogen wird, fertig wirst. Meine alte Hundschule war im Volkspark, also weit weg. Dazu konnten weder in meiner alten noch in meiner neuen Gegend die Hundebesitzer viel sagen, gut für mich. Trotzdem schwante mir manchmal Übles. Waaas, die Hunde spielen da zusammen? Ganz falsch. Waaaas, die arbeiten da noch mit Belohnung und Bestrafung? Oh Gott, wo soll man anfangen?

So trainiert mich Lili nicht nur darauf, dass ich jeden Tag mindestens drei mal in die Stiefel steige, die Jacke anziehe und da raus gehe und endlich zurück im Haus Sockenzerren, Verstecken und Wettrennen spiele, auch wenn mir gerade eigentlich mehr nach Lungern, Posten, Schlafen, Kochen oder Sterben wäre, sondern ganz nebenbei für die Zeiten, wenn ich irgendwann mal auf einer Spielplatzbank sitze, nichts Böses denke und gerade die Zeitung entfalten will, da nähert sich von weitem eine Frau mit zwei kleinen Kindern. Dank Lili werde ich mich nicht zu früh freuen, sondern erst mal denken "Kinder, wie schön, aber Mutter, naja."

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