Samstag, 27. März 2010

Revue passiert

Meine erstes Zimmer in Hamburg war der blanke Horror. Ich hatte eine Zusage für ein Praktikum, war ein Wochenende lang hier und hatte mit 27 Zimmervermietern Termine. Unter anderem waren dabei ein Zimmer mit einem Mädchen, das acht Kaninchen freilaufend in der Wohnung hielt, ein Zimmer bei einem 47jährigen frisch geschiedenen Mann und ein Zimmer in Steilshoop. Ich wusste es nicht besser und hab sie mir alle angesehen. Von den vier Zimmern, die ich haben wollte, habe ich für eins die Zusage bekommen. Zwei nette Jungs wollten ein Zimmer vermieten, weil einer von ihnen für ein Jahr zum Studieren nach Frankreich gehen sollte. Das Zimmer hab ich genommen. Als ich dann einzog, wurde mir schnell klar, was für ein Fehler das gewesen war. Der eigentliche Bewohner des Zimmers hatte keinen Bock, nach Frankreich zu gehen, und war die ganze Zeit da, er campierte im Flur, oder, wenn er besoffen genug war, fand ich ihn auch schon mal abends tief und fest schlafend in meinem Bett, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam. Die zwei gaben ihr ganzes Geld für Schnaps, Pornos und den HSV aus. Einmal trat einer der beiden in einen Hundehaufen und hat den Mist zuhause an der Fußleiste im Flur abgestreift. Ein anderes mal haben sie eine Party gefeiert, und danach standen eine Woche lang Mayonnaise, Fleischkäse und hartgekochte Eier in der Küche rum. Dass in dem ganzen Müll keine Vogelspinne rumlief, war alles. Ich hatte einen befristeten Vertrag und knirschte mit den Zähnen.
Als ich dann den ersten richtigen Job hatte, habe ich mir meine erste richtige Wohnung im feinsten Teil von Winterhude genommen. Das war eigentlich schön, nur hatte ich dauernd Wasserschäden von oben, und der Mann unter mir klingelte regelmäßig gepflegt zugedröhnt an der Tür, um mir zu erzählen, er könnte hören, wenn ich Zähne putze, und ich sollte doch bitte Teppich auf mein schönes Parkett legen. Die Nachbarn waren extrem posh, man bummelte Samstags mit Weidenkörben überm Arm durch die Gegend und kaufte Angeberkäse. An die Alster waren es fünf Minuten. Ansonsten war das da sehr, sehr langweilig.
Nach einem Jahr zog ich um nach Eimsbüttel in einen verratzten Altbau. Der Balkon drohte zwar ständig, abzubrechen, im morschen Treppenhaus gab es oft kein Licht, die Nachbarn schliefen besoffen mit Fluppe ein, und nachts grölten sie ins All, was ihnen auf der Seele lag, aber ich hatte dort herrliche Zeiten. Dann lernte ich L. kennen. L. besuchte mich in meiner Bruchbude, ging danach zurück in seine hübsche Wohnung mit Parkett und ohne Gefahren, und eines Tages zog ich nach einem kleinen Intermezzo bei ihm ein. Diese Wohnung war der Schauplatz von vielem, was schön und wichtig für mich war. Unter anderem ist sie die erste Wohnung, in der ich jemals mit einem Freund zusammengewohnt habe. Sie ist die Wohnung, in der L. mich gefragt hat, ob wir heiraten. Hier habe ich gefeiert, dass ich gekündigt habe, und hier habe ich unzählige Töpfe voll Linguine gekocht. Ich hab hier Bilder aufgehängt, hier standen meine Lieblingsbücher in den Regalen, hier hab ich die meisten Nachbarn gemocht und nur zwei Nachbarn gehasst, und wenn man mich nachts um drei schüttelt, dann kann ich bis ins kleinste Detail sagen, wie es vor dem Fenster aussieht. Wenn man jetzt rausguckt, dann sieht man, dass die Bäume im Hof langsam so einen lindgrünen Schimmer bekommen. Man ahnt ihn mehr, als man ihn sieht. Die Wohnung ganz unten schräg gegenüber ist keine Wohnung, sondern das Lager von unserem Weinmann. Und im Haus nebenan wohnt jemand, der sehr schön Klavier spielt, und zwar gerne bei offenem Fenster. In zwei Monaten werden wir hier nicht mehr wohnen.

Merkt ihr was? Flora kriegt kalte Füße.

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