Freitag, 25. Dezember 2009

Zweinachten II

Weihnachten dieses Jahr ging so:
Es fing fast zu schön an, um wahr zu sein. Aber weil ich Angst hatte, am Dienstag abgeschickte Päckchen würden vielleicht nicht pünktlich bis Donnerstag, also Heiligabend, meine Familie erreichen, hatte ich tatsächlich am Mittwoch vor einer Woche alle Geschenke gekauft und am Donnerstag alles eingepackt und abgeschickt. Vor Selbstzufriedenheit aus allen Nähten platzend, trat ich meinen Urlaub in London an. Ich war zwar ein bisschen unruhig, dass es trotzdem noch Stress geben würde mit den Geschenken für die Familie von L., aber habe mich damit beruhigt, dass wir ja am Dienstag landen würden und damit noch den Mittwoch und Donnerstag haben würden, um alles hinzukriegen. Außerdem: Urlaub zur Weihnachtszeit in London - da sollten doch wohl alle Geschenke zu kriegen sein?
Dann kam eine dicke Erkältung und warf mich aus dem Nichts drei Tage ins Bett. Und L. ging zwar immer wieder los mit Missionen wie "niedliches, britisch angehauchtes Spielzeug für den kleinen Sohn seines Cousins" oder "irgendwas mit Schottenkaro für seine Mutter", aber kam dann jedes Mal mit einem neuen Paar runtergesetzter Clarks-Schuhe und sonst nichts wieder. Es stellte sich heraus, dass London ein weniger paradiesisches Shoppingwunderland ist als gedacht. Als wir dann am Dienstag die mehrstündige Tour zum Flughafen angetreten hatten, stellte sich heraus, dass easy Jet wegen drei Zentimetern Schnee sämtliche Flüge gestrichen hatte. Der Flughafen quoll über vor Menschen, die binnen Stunden das Aussehen und die hoffnungslose Ausstrahlung gestrandeter Flüchtlinge angenommen hatten und vergeblich versuchten, eine bequeme Position mit dem Kopf auf ihren stahlharten Rimowa-Koffern zu finden. Irgendwann kam die Durchsage, wir sollten uns doch anderweitig orientieren, hier gäbe es jedenfalls erst am 28. wieder einen Flug. Die meisten blieben trotzdem, wir sind wieder abgezogen. Easy Jet kann sich auf was gefasst machen. Per Telefon konnte L. uns dann mit viel Glück auf einem Flug gestern früh um sieben nach Hannover unterbringen, wo wir zwar auch nichts verloren hatten, aber angesichts dessen, dass ich schon kurz davor war, uns kurzschlussartig auf einen Flug nach Zürich zu buchen, war das ein gewaltiger Schritt nach vorne. Trotzdem klappte dank der Airline mit dem fröhlichen orangefarbenen Logo mit einem Mal mein ganzer dufter Weihnachtsplan in sich zusammen. Ich würde keine Zeit mehr haben, die versprochenen Weihnachtskekse für die Familie zu backen, keine Zeit, um für das Weihnachtsessen am 25. mit L.s Mutter einzukaufen, keine Zeit, einen Baum zu besorgen und die im Chaos verlassene Wohnung aufzuräumen, keine Zeit für letzte Geschenke, ob mit oder ohne Schottenkaro, keine Zeit, Weihnachtskarten zu schreiben und abzuschicken, keine Zeit für garnichts.
Gestern um halb fünf piepte der Wecker. Da war ich schon seit zwei Stunden wach und starrte mit panikgeweiteten Augen an die Decke unseres niedlichen Londoner Hotelzimmers. Egal, wie ich es drehte und wendete, das würde alles nichts werden. Es würde nur die vor dem Urlaub produzierten Heidesand-Kekse geben, bisschen mager als Geschenk. Dann noch ein paar Bücher, die L. besorgt hatte. Nichts von all den gut durchdachten Geschenkideen, die rote Wangen oder sogar ein Tränchen der Rührung in die Gesichter der angeheirateten Verwandtschaft zaubern würden. Und das mir, wo ich doch jedes Jahr bis zur letzten Sekunde in der Sorge lebe, ich hätte irgendwen nicht ausreichend oder sogar gar nicht bedacht und würde es erst unterm Baum merken. (Weihnachten ohne Geschenke ist für mich ein Traum, die totale Befreiung. Das wird zwar vermutlich nie passieren, aber träumen wird man ja wohl noch dürfen.)
Der Flug ging tatsächlich, und zwar nur mit einer halben Stunde Verspätung. Und während wir noch um unser Weihnachten jammerten, war eine Freundin schon emsig wie ein Weihnachtswichtel unterwegs, um für uns das Nötigste zu Essen und einen Baum zu besorgen. Alles klappte wie am Schnürchen, um zwei waren wir zuhause und hatten sogar noch die letzten zehn Minuten Öffnungszeit unseres Supermarkts erwischt. Zwar nicht genug, um für einen Festtagsbraten einzukaufen, aber genug für Toast und Schinken und Käse und ein paar Vitamine. Champagner zum Mitbringen hat L.s Mutter besorgt. Die Strumpfhose hatte keine Laufmasche, die Wimperntusche klumpte nicht, die Schuhe waren wie durch ein Wunder schon sauber und mussten nicht von Matschkrusten befreit werden, das Taxi kam pünktlich, und um sechs saßen wir bei L.s Familie unterm Baum, ein Glas Champagner in der Hand.
Bei L.s Onkel gibt es keinen Sekt, sondern Champagner und Diskussionen darüber, welche Sorte die beste ist. Es gab dieses Jahr aus Angst vor berserkerhaften Anwandlungen des Kleinen keine echten Kerzen, sondern elektrische. Es gab keine geordnete Bescherung, sondern irgendwann fingen alle an, auszupacken und sich gegenseitig immer mehr und mehr Geschenke in den Schoß zu werfen. Zwischendurch gingen wir zum Rauchen nach draußen und guckten auf den verschneiten Garten und die Alster. Während bei uns zuhause Weihnachten, so wie es immer war, nur funktioniert, weil alle Beteiligten durchgehend so tun, als wären meine Eltern immer noch Mama und Papa und wir immer noch Kinder oder Teenies, die heute ausnahmsweise mal länger aufbleiben und Wein trinken dürfen, waren wir diesmal erwachsen. Es gab alten Rotwein und Wild, und hinterher noch einen Whiskey. Es gab zwar wenig Rituale, aber es wurden Weihnachtslieder gesungen (es stellte sich heraus, dass wir alle weniger textsicher sind als gehofft) und es gab erwachsene Konversation über Berufe, Kinder, Essen und Reisen. Die Bücher kamen, so weit ich das sehen konnte, wider Erwarten gut an, und obwohl meine Geschenke von Zuhause von der Deutschen Post in Geiselhaft genommen sind bis nach den Feiertagen, habe ich trotzdem so viel wie sonst zum Auspacken gehabt. Es gab einen rührenden Brief vom kleinen Sohn meiner Cousine, der mein besonderer Freund ist, mit einem Foto, auf dem man sieht, wie er neben dem Playmobil Piratenschiff schläft, das ich ihm geschenkt habe. Das war schön. Der Bauch hat überhaupt nichts ausgemacht, und mit dem Kleinen habe ich Bücher angeguckt. Ich bin extrem froh und dankbar, dass ich keinen sentimentalen Durchhänger à la "ach, ob ich wohl jemals für ein eigenes Kind Piratenschiffe verpacke?" hatte. Reines Glück, aber dafür kann man ja manchmal am dankbarsten sein. Am Ende gab es sogar noch ein Taxi nach Hause.
Jetzt mache ich uns Weihnachtstoasties und koche Eier. Und dann freue ich mich darauf, wenn es dunkel wird und wir zum ersten Mal unseren Baum anzünden.

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