Samstag, 10. Oktober 2009

Einer dieser Tage

Heute ist so ein Tag, an dem man denken könnte, alles ist vollkommen normal. Wenn ich nicht direkt neben meinem Rechner einen 20 cm hohen Bücherstapel zum Thema Kinderwunsch liegen hätte. Und wenn ich nicht jedes Mal, wenn ich meine Sockenschublade öffne, dort auf die alten Spritzen und Medikamentenpackungen stoßen würde, die ich aus sentimentalen Gründen (oder meinetwegen auch aus fortgeschrittener Matschhirnigkeit) aufgehoben habe. (Ihr denkt, ich hab den Plan aufgegeben, eines Tages all die Pillenpackungen und Nasensprays und Spritzenpens in Kunstharz zu gießen wie Damien Hirst und daraus den geschmacklosesten Beweis für Mutterliebe weltweit zu machen, der je ein Kinderzimmer verunziert hat? Falsch gedacht! Vielleicht komme ich aber auch wieder runter, schmeiße den Mist weg und mache nur vorher ein Foto davon.) Und wenn nicht die Birkentinktur wäre, die ich jeden Morgen und Abend schlucke. Und wenn ich nicht schon wieder in meinem Kalender einen Ultraschall-Termin stehen hätte, der sich aber vermutlich sowieso erledigt hat, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass wir weitermachen können, so lange ich nach jedem Gang zum Altpapiercontainer Blut in der Hose habe. (Und selbst wenn das alles vollkommen harmlos ist, würde ich diesmal gerne eine blutfreie Schwangerschaft erleben; es ist einfach besser für den Schlaf und den Teint. Man wird leider so schreckhaft.)

Jedenfalls ist heute so ein Tag, wie ich ihn tausendmal erlebt habe in der Zeit vor dem Kinderwunsch, sogar vor L., eigentlich schon immer. Draußen schüttet es, was aber herrlich ist, weil eine 1a Entschuldigung dafür, den ganzen Tag herumzuschluffen, ein bisschen was zu kochen, möglichst etwas, was man mit Löffeln essen kann, während man mit einer Schale auf dem Schoß in Wolldecken gemummelt auf dem Sofa kauert. Nachher werfe ich vielleicht noch eine Kostümfilm-DVD ein und bügele dazu, oder ich lass das mit dem Bügeln und gucke nur. Zwischendurch ein bisschen Gefrickel am Rechner, nur für das gute Gefühl, wieder ein paar Häkchen an die To Do-Liste machen zu können, aber bloß kein Stress. Unten läuft die Waschmaschine, draußen tropft die Regenrinne, der Duft von Kartoffelsuppe zieht durch die Bude, und wer weiß? Jetzt, wo L. Fußball gucken gegangen ist, wäre vielleicht der richtige Moment für eine dieser Haarkuren, die eine Stunde einwirken müssen. Die Welt ist schwer in Ordnung heute, so wie sie ist.

Und gleichzeitig mache ich mir Gedanken um ein Thema, um das ich mir eigentlich sehr ungern Gedanken mache: das Thema, wie das eigentlich kommt mit dem Kinderwunsch. Dass wir ein Kind wollen, ist nun wirklich nichts Neues. Aber manchmal, heute zum Beispiel, denke ich mir schon ganz leise: ein Kind wäre schön, ein Kind wäre unsere große Sehnsucht, und wenn es mehr als eins wird, wir wollen ja nicht unbescheiden sein, dann wäre das Glück perfekt. Aber es gab mal eine Zeit - vielleicht noch so vor zwei Jahren - da habe ich oft gesagt (und dabei noch nicht mal gelogen), wenn es nicht klappt, dann wäre das zwar sehr schade, aber unser Leben ist trotzdem schön. Keine Angst, ich denke heute auch noch nicht, dass mein Leben ohne Kind eine Katastrophe ist. Aber wie immer, wenn man etwas tut, um ein Ziel zu erreichen, wird das Ziel dadurch automatisch wichtiger. Das fängt schon damit an, dass man als Schulkind über eine Vier in einer Arbeit, für die man gelernt hat, trauriger ist als über eine Vier, bei der man am Tag vor der Arbeit im Schwimmbad war. Oder damit, dass ich immer schon wütender war, wenn mir ein Fahrrad geklaut wurde, für das ich die ganzen Ferien lang gejobt hatte (Popos im Altersheim abgewischt, um genau zu sein), als wenn mir die alte Hollandgurke geklaut wurde. Und das lag bestimmt nicht nur am unterschiedlichen Geldwert der Räder, sondern daran, dass ich für das eine verdammt viel getan hatte und für das andere so gut wie nichts. Für dieses Kind habe ich in den letzten Monaten eine Menge getan. Und je mehr man tut, desto härter wird es, all das, was man schon getan hat, in den Wind zu schießen und es gut sein zu lassen. Nein, ich bin bestimmt nicht kurz davor, aufzugeben - noch lange nicht! Aber wenn ich mich heute mal zurücklehne, den Bügelkorb ignoriere und gründlich nachdenke mit möglichst klarem Kopf, dann weiß ich genau, wenn ich noch zwei Jahre IVF hinter mir haben werde, dann werde ich erst recht nicht aufgeben - auch, wenn es vielleicht besser wäre. Ich werde mich, je länger das dauert, um so mehr festbeißen. Das ist jedenfalls nüchtern betrachtet die wahrscheinlichste Aussicht. Vielleicht meinen blöde Journalisten ja das, wenn sie schreiben, wir wären eine Bande verbissener Biester, die es einfach übers Knie brechen wollen. Ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Aber wenn man lang genug an der Eisenstange geruckelt und gezerrt hat, dann wäre es doch schön, wenn sie auch endlich, endlich brechen würde (ob überm Knie oder sonstwo).

2 Kommentare:

  1. Hallo Flora,

    ich habe heute einen wunderschönen Schnuffeltag mit einer ergiebigen Shoppingtour hinter mir. Demnächst muss ich mir mal Gedanken machen um meine 2. IVF. Schreibe doch mal einen Beitrag über deine Entschlackungskur. Was nimmst du denn genau bzw. Was machst du denn genau??
    Liebe Grüße
    Tine

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  2. Hallo Flora,

    danke für diese klaren Worte. Ich habe mich schon länger gefragt, warum man sich so reinsteigert, es zwar geahnt, hätte es aber nie so in Worte fassen können. Ja, man tut so viel dafür, daß man nicht mehr einfach aufgeben kann.
    Viele Grüße,
    kieselchen, die in der WS der 3. ICSI ist.

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