Samstag, 15. August 2009

Falls ihr heute zufällig einem hilflos betrunkenen Mann in Zylinder und Hosenträgern über den Weg lauft:

seid nett und denkt nichts Schlechtes über ihn.
Während ich hier friedlich sitze und tippe und sonst keine Sorgen habe, geht L. durch die Hölle. Heute ist sein Junggesellenabschied, und er muss alles aufholen, was ich bei meinem nicht durfte. Irgendwann morgen früh laden sie ihn wieder hier ab, und Ibuprofen, gekühlte Augenmaske und kaltes Wasser stehen bereit.

Noch zwei Tage bis Ultraschall. Bernstein hat Recht, es nützt ja nichts. Wieder mal habe ich keine Ahnung, was ich denken oder wie ich mich fühlen soll. Habe ich jetzt das sichere Gefühl, dass etwas nicht stimmt, und alles andere wird eine schöne Überraschung? Oder denke ich das nur sicherheitshalber, um der schlimmsten Enttäuschung vorzubeugen, und weiß im Grunde genau, dass alles stinknormal, also gut ist? Es ist ein Affentanz, und der wird wohl auch nicht aufhören, bis ich irgendwann das Würmchen im Arm halte und mir drei Ärzte laut und in Zeichensprache und schriftlich versichern, dass nun wirklich, ehrlich und in echt alles gut ist.

Vorhin Frühstück auf dem Schulterblatt. Und nun geht es hier schon so zu wie in Berlin: alle sind schwanger. Es ist eine Seuche. Überall Bäuche und Wagen und Schultertücher und winzige Fahrräder aus Holz. Trotzdem geht erstaunlich viel Kaffee, der nicht Kaffee heißt, über den Tresen. Ich dachte, gerade diese schwangeren Großstadt-Szenemädchen sind die wildesten Ernährungsnazis. Ist doch schön, wenn man sich irrt.

So sehr ich mich auch wegen des Ultraschalls aufrege und so unruhig mich das auch macht, dass ich so gut wie nichts von meiner Schwangerschaft mitkriege und dass es immer noch ab und zu blutet - langsam breitet sich in den anderen Lebensbereichen eine große, schöne Gelassenheit aus. Dass ich nichts trinken darf, hat mich sowieso bisher viel weniger gestört, als ich dachte. Aber langsam lässt mich auch die Existenzangst wegen der Jobflaute aus ihren Klauen. Was solls? In meiner alten Firma läuft es gerade überhaupt nicht rund, wie ich höre. Wenn ich da immer noch jeden Tag hin müsste, würde ich mich jede Nacht schlaflos hin und her wälzen und würde täglich eine Stunde damit verschwenden, Phantasiestreitgespräche mit Chefs und Kunden zu führen, die nie wirklich stattfinden. Und wäre ich in einer anderen Firma, dann hätte ich im Moment ständig ein schlechtes Gewissen, weil ich so schnell schwanger geworden bin, und ich hätte es bisher vermutlich noch nicht mal erzählt, aus Angst, dass ich das Baby verliere und dann für nichts und wieder nichts von Anfang den Ruf hätte, hier ein ganz linkes, doppeltes Spiel zu spielen und wirklichkeit am Job kein Interesse zu haben, sondern hier nur die Zeit bis zur Familiengründung abzureißen. So sind die nämlich drauf, die Bosse in meinem Beruf. Alle!

Das wird schon alles, und wenn nicht, dann werde ich extrem viel Zeit für Yoga haben.
Auch bei Klamotten bin ich raus, und das ist in Ordnung so. Ich habe shoppen schon immer gehasst, aber war trotzdem nicht gerne doof und langweilig angezogen, und jetzt ist es doch schön, zu sehen, wie die anderen Mädchen ganz aufgeregt sind wegen des ACNE-Sonderschlussverkaufs auf der Schanze, und ich kann daneben stehen und ihnen ohne die leisesten Melancholie dabei zugucken, wie sie sich in wahnsinnig knackige Jeans schießen und weiß, in den nächsten Monaten wird die Kleiderfrage extrem in den Hintergrund treten. Ihr verrückten jungen Leute, geht ihr nur shoppen/saufen/die Wirtschaft ankurbeln/Elefanten jagen! Heute ist Flora sowas von raus und sehr froh darüber.

Womit nicht gesagt ist, dass ich morgen nicht schon wieder von einer Minute auf die andere in eine mittlere Krise rutsche.

(Und natürlich habe ich trotzdem was gekauft. Einen ACNE-Rock, der bestimmt nicht auf Zuwachs gedacht ist. Aber 40 Euro? Das Ding ist ein KLASSIKER, quasi eine Geldanlage!)

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