Freitag, 24. Juli 2009

Manches ist schon gut so

Ich hab keine Ahnung, warum ich gerade heute an diese Geschichte denken muss. Aber ich muss. Als ich noch zur Schule ging, gab es da ein Mädchen, das dazu neigte, mit dem größten Selbstvertrauen und dem bedeutungsvollsten Ausdruck fürchterlichen Schwachsinn zu reden. Das wurde nicht besser, nachdem sie ein Jahr im amerikanischen Bible Belt beim Schüleraustausch verbracht hatte. Nach einer Weile passierte das, was solchen Leuten leider meistens passiert: irgendwann fingen schon alle an zu kichern, wenn sie nur den Mund aufmachte, egal, ob wieder einer dieser blöden Klopse rauskam oder zur Abwechslung mal etwas Normales. Manchmal muss man vermutlich auch dabeigewesen sein, um einschätzen zu können, wie bescheuert eine Bemerkung in diesem Moment gerade war. Sie selbst war übrigens gegenüber dem Gekicher völlig schmerzbefreit.

Nun kommt die Geschichte, sie ist nicht schön und ziemlich lang, aber ihr werdet sehen, am Ende kommen wir an. Eines Tages im Sommer, als wir so ungefähr 19 waren, haben wir den Tag am See verbracht. Sie war dabei, ich war dabei, noch ein Haufen anderer Leute aus meinem Abi-Jahrgang, und leider auch zwei Jungs aus dem Osten, die damals, kurz nach der Wende, der Vater eines Freundes unter seine Fittiche genommen und für die Ferien zu uns eingeladen hatte. Die Ost-Jungs wollten nackt schwimmen, was uns Klemm-Wessis entsetzlich peinlich war. Sie starrten uns Mädchen auf den Po und machten Luftküsschen, was uns ebenfalls peinlich war. Und sie hatten bei 30 Grad im Schatten eine Flasche Schnaps dabei, was uns allen die Fremdscham ins Gesicht trieb.
Abends gab es eine Party irgendwo in einem abgemähten Feld. Ich hatte ein olles Auto, also fuhr ich, und irgendwie schafften es noch fünf andere, sich mit mir in meinen R4 zu quetschen. Auch das Mädchen mit der Neigung zu blöden Äußerungen war dabei. Als wir dort ankamen, saßen auch die zwei Gäste am Lagerfeuer, inzwischen wieder angezogen. Nun tranken die meisten Schnaps oder irgendwas, und ich saß fröhlich und stocknüchtern dazwischen und dachte nichts Böses. Mein damaliger Freund, damals in meinen Augen der feinste Kerl der Welt, zog ca. achtmal an einer dicken Tüte, die herumging, und legte sich kichernd ins Gras. Und nun kommt das, was diesen Abend in die Top-100 meiner persönlichen Tiefpunkte eingehen lässt (jedenfalls hoffe ich, dass es nicht noch sehr häufig schlimmer kommen wird): einer der beiden Gaststars legte sich plötzlich auf mich drauf. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen, schrie ihn an, und als ich irgendwann merkte, dass das nichts nützte, schrie ich die anderen an, mir gefälligst zu helfen. Das nützte aber nichts, weil es allen entweder egal war, sie sich gerade totlachten über meine Anstrengungen oder zu breit waren, um zu verstehen, was da gerade passierte. Mein Freund eingeschlossen, und die Beziehung kriegte in dieser Nacht den Knacks, der vermutlich später ihr Ende war. Ich sah mich schon vergewaltigt inmitten von plattgelegenen Schnecken und Bierflaschen liegen, und das gab mir vermutlich die nötige Kraft, mit einem 80-Kilo-Mistkerl fertig zu werden: Als der Typ dabei war, mir das Hemd aufzuknöpfen, schaffte ich es, ihn abzuwerfen, trat ihm noch ein paar mal kräftig in den Hintern, stieg in mein Auto, gab dem Rest der Bande zehn Sekunden zum Einsteigen und fuhr los. Den gastfreundlichen Vater meines Mitschülers stellte ich am nächsten Tag vor die Wahl, die Jungs mit dem nächsten Zug nach Hause zu schicken, oder sie darauf vorzubereiten, dass einem von ihnen eine Anzeige blüht. Er hat sich dann für die Heimfahrt entschieden, und ich hab den Jungen zwei Tage später trotzdem angezeigt, weil ich bei näherer Überlegung nicht wollte, dass er sich noch mal auf das falsche Mädchen legt. (Findet das jemand unfair von mir? Tja, so ist das Leben.)

Und nun kommt es: auf der Heimfahrt sagte lange Zeit niemand etwas. Und dann kam der Moment, der diesen Abend nicht nur zu einem der schlimmsten, sondern auch der komischsten in meinem Leben gemacht hat: das Mädchen mit den besonderen Einsichten machte den Mund auf und sagte in einem Tonfall wie die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten: "Ich finde, das hat der Herrgott schon gut eingerichtet mit den Männern und den Frauen." Und als ich sie im Rückspiegel fassungslos anstarrte, versuchte sie die Kurve zu kriegen: "Und den Babys natürlich auch. Was denn? Was habt ihr denn?"

Heute, viele Jahre später, sitze ich vor meinem Blog, trage morgens um halb zehn die dritte Unterhose des Tages, weil ich in den nächsten Tagen vermutlich einen Abgang haben werde und es von Stunde zu Stunde ein bisschen mehr blutet, und frage mich:

Ist es nicht gut, dass man am Anfang einer Schwangerschaft so verwirrt ist und das alles so surreal findet, dass man am Ende nicht vor Kummer verrückt wird, wenn es tatsächlich nicht wahr wird?
Oder dass wir gar nicht alle von Anfang an richtig spüren, dass wir schwanger sind?
Oder dass man nie die einzige ist, wenn es schief geht?
Oder dass wir genau wissen: wenn es jetzt nichts wird, dann hat vermutlich etwas Wichtiges nicht gestimmt mit dem Kind, und es war wirklich besser so?
Und dass die kritischste Phase am Anfang der Schwangerschaft ist und nicht am Ende?
Und dass ich nicht die letzten zwei Wochen jeden Tag überm Klo angefangen habe?

Vielleicht will jetzt die eine oder andere nie wieder diesen Blog lesen: eine versuchte Vergewaltigung und Schwangerschaften und mögliche Fehlgeburten und den lieben Herrgott im gleichen Eintrag zu erwähnen, hat die sie noch alle?

Tut mir leid, aber so geht es gerade zu in meinem Gehirn. Seid nicht böse auf mich. Schiebt es meinetwegen auf die Hormone. Denn die Hormone - und das verwirrt mich gerade sehr, noch zusätzlich zu der restlichen Verwirrung - die Hormonwerte sind weiterhin spitzenmäßig. Mustergültig. Optimal.

P.S. Tage später lese ich diesen Post zufällig noch mal, und jetzt klingt er plötzlich so, als hätte ich was gegen Ostdeutsche. Das ist natürlich Blödsinn und tut mir sehr leid, so wollte ich bestimmt nicht klingen, ich hoffe, dass nicht allzu viele von euch das gedacht haben! Das Problem war nicht, dass die beiden aus dem Osten waren, sondern dass sie vermutlich ziemliche Doofköppe waren. Und außerdem war das Problem, dass der Vater des Freundes, der uns die beiden aufgehalst hatte, dem alten Irrglauben vieler Erwachsenen aufgesessen war, dass sich Leute im gleichen Alter immer irgendwie verstehen. "Jugendlich ist Jugendlich, ihr könnt ja mal was zusammen unternehmen". Dass das nicht klappen konnte, wenn man uns brave Abiturienten mit zwei vollkommen ziellosen, arbeitslosen Jungs Mitte 20 ohne Schulabschluss zusammensteckt, auf die Idee wäre er nie gekommen.

1 Kommentar: