Dienstag, 2. Juni 2009

Wenn Kinder Kinder kriegen

Am letzten Tag saß ein Kollege bei mir im Büro. Er saß in meinem alten Stuhl, lehnte sich lässig zurück und fragte mit einem Ausdruck, als hätte er als einziger mein ganzes Gerede von „freiberuflich arbeiten“ und so durchschaut:
„Und jetzt? Familie gründen, oder?“

Wir üben ja schon, und wie! Wenn du wüsstest, haha!

Kein Grund, dem Mann an den Hals zu gehen. Denn inzwischen ist ja alles anders. Vor ein paar Jahren habe ich in einer Zeitung gelesen, wenn eine Frau über 35 heute keine Kinder hätte, dann könnte sie entweder nicht oder wollte nicht, und beides würde keinen etwas angehen, also gefälligst nicht dumm fragen, sondern fein die Klappe halten. Damals dachte ich schon: die Zahl wird so nicht lange stehen. Über 45 ist das was anderes, aber über 35? 35 bist du ja selbst irgendwann demnächst, und bisher ist keiner in Sicht, der der Vater deiner vielen Kinder werden könnte. (L.s Eintritt in mein Leben ließ ein bisschen auf sich warten, es gab eine Menge anstrengender, aber lustiger Verwicklungen vorher.)

Und noch ein paar Jahre vorher, als ich noch ein Kind war, war meine Mutter schwanger. Mit 34! Das war nicht nur in unserer Siedlung ein Ding, sondern auch in meiner Familie. Die Großeltern meinten unabhängig voneinander, das müsste doch nun eigentlich nicht mehr sein, und in der Nachbarschaft gab es eine Menge für kleine Ohren aufzuschnappen, wenn die Mütter meiner Freunde nachmittags um vier bei ihrem Après-Tennisstunden-Sekt saßen. Die Großeltern waren vor allem in Sorge, und die doofen Nachbarinnen waren vor allem neidisch, aber unangebracht fanden sie es wohl alle ein bisschen. Schwanger mit 34! Was denn noch?

Mit 36 werde ich heute in einer Menge Läden immer noch geduzt. Mein letzter Besuch im Club ist zwei Monate her (und war grauenvoll, aber das lag nur am Club und nicht daran, dass ich so ein alter Rochen wäre). Manchmal hab ich immer noch einen Pickel, auch außerhalb der Hormonzeiten, und zum Glück lassen die Falten ein bisschen auf sich warten. (Wäre ja auch bitter, von der Pickel- nahtlos in die Faltenphase überzugehen.) Ich gehe auf Konzerte, heute zum Beispiel, und wenn auf dem Weg dahin plötzlich mein Deutschlehrer vor mir stehen würde, dann wäre mir das heute noch fast so unangenehm wie mit 16. Ich weiß noch genau, wie es war, um zehn zu Hause sein zu müssen und für jeden Mist Mamas Unterschrift zu brauchen. Ich weiß auch noch, wie sich eine Doppelstunde Chemie angefühlt hat und wie das war, als man in der Bahn die Sitze so zusammenziehen konnte und dann auf einer einzigen durchgehenden Fläche aus Hanuta-Krümeln saß. Was ich damit sagen will, ist: meine Kindheit ist gerade erst vorbei, und ich fühle mich noch ziemlich jung. Dass meine Eileiter das nicht gemerkt haben und aus irgend einem Grund denken, ich würde stramm auf die Wechseljahre zusteuern (falls es etwas damit zu tun hat), wundert mich ja selbst. Schon schade, oder?
Aber dass der Rest der Welt genau wie ich tief im Inneren davon ausgeht, ich würde nun irgendwann Kinder kriegen, das ist meiner Meinung nach ein Grund zur Freude. Je länger ich drüber nachdenke.

2 Kommentare:

  1. wie immer sitze ich mit einem grinsen im gesicht und lese. danke für die tollen worte, zeilen, gefühle...die mir so aus der seele sprechen!
    jetzt bin ich nur ein kleines bisschen neugierig...verrätst du auf welchem konzert du warst? :-)
    ich drücke dir nach wie vor ganz feste die daumen!
    cheers,t

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  2. Danke, liebe Tina - das Konzert kann ich auch verraten, da war ich nicht der einzige Gast, meine Anonymität ist also üüüberhaupt nicht gefährdet: Jarvis Cocker, der ehemalige Pulp-Frontmann. War gut. War auch sonst ein puppenlustiger Abend.

    Danke 1000mal für die guten Wünsche und fürs Dranbleiben!

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