Dienstag, 26. Mai 2009

Was wichtig war

Ach ja, und dann war da ja noch New York. Aber ich kann doch auch nicht mehr. Alles so anstrengend hier. Kunden und Jobs und Kunden und Jobs, es ist ein Elend. Eigentlich bin ich sogar zu gar nichts mehr fähig außer dazu, gleich meine Bude hier dicht zu machen, in einen Bus zu steigen und nach Hause zu fahren und zu schlafen, dass es nur so kracht.

Aber vielleicht kann ich ja in den nächsten Tagen peu à peu abarbeiten, was sonst noch wichtig war.

Die Amato-Oper muss natürlich zuerst dran kommen.
Die Amato-Oper ist jetzt 61 Jahre alt, und 62 wird sie leider nicht mehr. Wer noch eine Vorstellung erleben will, muss sich jetzt ein Ticket nach New York kaufen, hingehen und hoffen, dass irgendwer den Verstand verliert und seine Karte zurückgibt. Die Amato-Oper ist das Lebensprojekt von Tony Amato und seiner Frau Sally, die mit Anfang 20 nach New York kamen und den Traum hatten, eine eigene Oper zu bauen. Eine Oper, in der jeder für wenig oder gar kein Geld die Oper liebgewinnen kann. In der Amato-Oper gab es früher keine Eintrittspreise (heute schon, aber selten hab ich Geld so sinnvoll angelegt), und auch die Sänger wurden bis vor zwei Jahren angeblich nicht bezahlt. Manche Sänger waren richtig gut oder wurden sogar Stars, sie hatten hier ihre ersten Bühnenauftritte oder waren schon vorher groß, wollten aber so eine feine Sache mit ihrer Stimme unterstützen. Manche Sänger waren auch einfach nur irgendwer, der denkt, dass er singen kann. Und manche Sänger waren wohl auch nur mit jemandem befreundet, der denkt, dass sein Cousin singen kann. Es ist ein Riesenspaß. Die Oper ist ungefähr so groß wie mein alter Chemiesaal in der Schule, in unsere alte Schulaula würde sie dreimal passen. Die Bühne ist ein bisschen größer als ein Bushäuschen, das Orchester sitzt darunter in einem winzigen Loch, aus dem Orchestergraben steht nur ab und zu der Dirigent auf wie Kai aus der Kiste, und man sieht ein paar weiße Haarbüschel von Tony Amato, der jede Vorstellung persönlich als Souffleur und Anheizer begleitet. Er kennt die Texte von vierstündigen Opern auswendig und hilft gerne, wo er kann, er winkt wie ein Fluglotse, wenn jemand nicht da steht, wo er soll, und er fängt an zu klatschen, wenn er wünscht, dass geklatscht wird. Wir haben den Figaro gesehen. Auf der Bühne standen hübsche junge Chormädchen ohne Stimme, alte pferdegesichtige Chormädchen mit Bombenstimme, eine Art singender Pizzabäcker mit dickem Gesicht und Leberfleck, der sich bewegte wie der Held in dieser Oper, die sich Robert de Niro als junger Mann im Paten ansieht, es gab zum Heulen schöne Musik und Blumen und Luftballons und Luftschlangen, und weil wir Karten in der ersten Reihe hatten, liefen alle ständig um uns herum. Es war, als hätten wir uns zwei Campingstühle auf eine Opernbühne gestellt. So schön! Ich hätte nach vorne greifen und Tony Amato an den Haaren ziehen können, aber das macht man natürlich nicht bei einem über 80jährigen Wohltäter. Vor ein paar Jahren ist seine Frau Sally gestorben, und nun kann er nicht mehr und hat außerdem etwas Besseres zu tun: er will nach zehntausenden von ausverkauften (bzw. ausverschenkten) Vorstellungen seine Memoiren schreiben, und die will ich sehr gerne lesen, wenn sie fertig sind.
Falls das übrigens jemand tatsächlich tun will – also bis zur letzten Vorstellung am 31.Mai noch da hin – die Amato Opera ist in der Bowery, zwei Häuser neben dem ehemaligen CBGBs (heute ein teurer Klamottenladen mit Klimaanlage, in dem die Ramones nur noch eine Deko-Idee sind). Und das passt sehr gut, diese kleine Desperado-Oper neben dem größten aller Punk-Clubs. Was wohl aus der Amato-Oper wird? Bitte kein Starbucks.

2 Kommentare:

  1. Hallo liebe Flora,

    du machst das toll!
    Du hast einen interessanten Blickwinkel, der voll meinen Geschmack trifft. Deine Sicht der Dinge ist grossartig und die Art, wie Du es dann auch noch in Worte fassen kannst - tiptop! Und dafür ein dickes, fettes Lob!
    In fast jedem Deiner Post kommt ein Gedanke vor, in dem ich mich wiederfinde.
    Ich hoffe, dass ich auch mal so frei und treffend schreiben werde.

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  2. r. (ja, DEINE r.)27. Mai 2009 um 10:57

    1600, hihihihihihihihihihihihi...
    so schön, dass du wieder da bist!
    deine r.

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